Schleswiger Geschichten
- Kostenlose Busfahrt und eine Tüte Bonbons von Sauerbaums
- Wenn Indianer und Cowboys kochen wollen (Heringe, Suppe)
- bei Tante Mine und Sönke Büschenfeld (Roller)
- Husumer Baum (FV Friedrichsberg, Bahnschranken, Schuster Ewald, Bäcker)
Stefan Weinert
Meine Schleswiger Geschichten
Es ist eigentlich kein Wunder, dass ich Schneegestöber, zugeschneite Landschaften und graue kalte Wintertage liebe. Denn schließlich erblickte ich zu genau einer solch gestalteter Stunde im Dezember 1951 das grelle Licht dieser Welt. Es war aber nicht der Schnee, der mich blendete, sondern es waren die Deckenlampen des kleinen Krankenhauses in meiner Geburtsstadt SCHLESWIG an der SCHLEI - zwischen Nord-Ostsee-Kanal, der zu dieser Zeit noch "Kaiser-Wilhelm-Kanal" hieß, und der dänischen Grenze. Dass dieses Licht bereits nach sechs Jahren nicht schon wieder für immer ausging - sondern nur für knapp eine Woche, das ist wohl auch als ein Wunder zu bezeichnen.
In SCHLESWIG lebte ich von 1951 bis 1976 - mit einem kleinen Abstecher zwischendurch nach Jübek 1974/75. Ich besuchte die Bugenhagenschule im Stadtteil "Friedrichsberg", die "Gallbergschule" im Stadtteil "Sankt Jürgen", die "Bruno-Lorenzen-Schule" und nach deren Abschluss mit Sonderrunde, die "Einjährige Höhere Handelsschule", welche damals in die Berufsschulen an der oberen "Flensburger Straße" integriert war. Dort lernte ich Stenographie, Schreibmaschine, Buchführung und Wirtschaftsenglisch und hörte zum ersten Mal die Worte "Bruttosozialprodukt" - "Vollbeschäftigung" und "konzertierte Aktion". Friedrich Schiller von der SPD war damals nämlich Finanzminister.
Ende 1976 zog ich um nach Flensburg, hatte aber durch meine wöchentlichen Termine beim "Luftschutz" anstelle Wehrdienstes und Proben mit der Rockband immer noch feste Bezugspunkte in der Stadt an der Schlei. Bis ich dann 1980 - inzwischen verheiratet - im Oberbergischen Land meine Theologiestudium begann. Durch den anschließenden Beruf als Pastoralreferent, kamen meine Frau, unsere beiden inzwischen geborenen Söhne und ich, in Deutschland ziemlich weit rum. Letztlich landeten wir in der Spiele- und Puzzle-Stadt Ravensburg, nicht unweit vom Bodensee entfernt.
Und genau von dort, dem oberschwäbischen Winkel im Südwesten der Republik schreibe ich meine "Schleswiger Geschichten" auf. Begonnen habe ich damit bereits 2015 - also vor acht Jahren, nachdem ich in Rente gegangen war. Doch irgendwie gingen diese Aufzeichnungen "verschütt", sind nun aber wieder aufgetaucht und werden von mir überarbeitet und ergänzt.
Apropos 2015. Seit diesem Jahr fahre ich mehr oder weniger regelmäßig mit dem Zug die 922 Kilometer nach Schleswig, respektive nach Schleswig-Holstein, worüber ich auch im Folgenden berichte. Vor allem aber geht es in den "Schleswiger Geschichten" um meine Kindheit und frühe Jugend in der Schleistadt, die ich dort mit vier weiteren Geschwistern erlebte: zwei Brüder und zwei Schwestern, wobei die ältere von ihnen noch heute dort wohnt und in Schleswig ein alt eingesessenes Kaufhaus betreibt. Wir anderen sind verstreut in Göttingen, Hamburg, Schwarzwald und eben Ravensburg. Wobei es da noch eine Besonderheit gibt. Unsere jüngste Schwester wurde auf den Tag genau, an meinem 14. Geburtstag während der von meinem Vater für mich und meine fünf Freunde arrangierten Party geboren.
Die folgenden rund 30 Geschichten sind in ihrer Reihenfolge nicht unbedingt chronologisch, aber echt und auch so von mir erlebt. Nur bei den Namen von Beteiligten habe ich ein wenig - wegen des Datenschutzes - "geschummelt", oder nur die Vornamen verwendet.
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👉 Mit Vitamin „B“ zum Telefon
Im Sommer 1961 –
während mein älterer Bruder und ich mit der katholischen Jugendgruppe im Zeltlager bei Trittau
im Sachsenwald waren – zog unsere Familie von
der kleinen Gewoba-Wohnung im Schleswiger Stadtteil "Friedrichsberg" - Dannewerkredder, in das Häuschen im gegenüberliegenden Stadtteil "Sankt Jürgen" in den "Seekamp" um. Damals endete die Straße dort. Der bis heute neben dem Haus platzierte Kindergarten, wurde erst einige Jahre später gebaut. Ich kann mich gut daran erinnern, wie der damalige Bürgermeister meine Eltern besuchte, um ihnen die entsprechenden Pläne zu erklären und um ihre Zustimmung zu bitten. Das war echt fair!
Aus dem Fenster unserer neuen Heimat - nach Osten - gab es den freien Blick auf den nahe gelegenen legendären "Brautsee" - und im Herbst auf die Rauchschwaden der etwas weiter entfernten damals noch arbeitenden Zuckerfabrik. Sonst ringsherum nur Wiesen und mittendrin die gerade neu fertig gestellte "Sankt-Jürgen-Schule".
Weil wir als sechsköpfige Familie in recht bescheidenen Verhältnissen lebten, war unser Haus zwar das kleinste in der ganzen Strasse, aber es war ein eigenes Haus! Und im Gegensatz zu allen anderen, war es nicht teuer verklinkert, sondern "nur" verputzt und weiß gestrichen, was unsere Eltern selbst erledigten. Statt mit vier Kindern in einem Zimmer auf 12 qm zu schlafen wie zuvor, waren wir Kinder nun auf drei Zimmer verteilt.
Noch im Herbst des gleichen Jahres beantragten meine Eltern bei der Post ein Telefon. Normalerweise dauerte es damals Wochen, bis man/frau es dann auch erhielt. Nicht so bei uns. Schon drei Tage später kamen zwei Postmitarbeiter und gruben einen Kanal von der Hauswand zur Strasse hin - und am Abend stand in unserem Wohnzimmer ein hellgraues Telefon mit Wählscheibe. Doch nicht nur das. Die Post hatte uns eine fünfstellige Nummer, die aber aus nur zwei verschiedenen Ziffern bestand, zugeteilt. Noch heute, nach 62 Jahren, habe ich diese Nummer im Kopf: 25 222. Was war passiert?
Einer meiner Onkel, die Schwester meiner Mutter hatte ihn geheiratet, war in Süddeutschland (Freiburg) bei der Post beschäftigt. Er hatte es tatsächlich geschafft, bis ganz nach Oben zu kommen. Er wurde der Direktor der damals noch bestehenden Oberpostdirektion des Bundeslandes Baden-Württemberg, von wo aus ich jetzt diese Zeilen schreibe. Von der gelben Telefonzelle, die damals am Platz zwischen den beiden Hochhäusern und dem Supermarkt CO-OP und dem Schreibwarengeschäft im Sankt-Jürgen stand, hatte meine Mutter ihre Schwester in Süddeutschland angerufen und ihr Mann, eben mein Onkel, griff seinerseits zum Telefonhörer. Und das wars.
Aber keine Sorge: Wir hatten dadurch keine finanziellen Vorteile, keinen Sondertarif oder so – es ging halt schneller und wir hatten damals die wahrscheinlich auffälligste Telefonnummer in ganz Schleswig (-Holstein?). Und Flatrate, oder so was, gab es damals natürlich noch nicht. Deshalb: Fasse Dich kurz! Das Ortgespräch allerdings für nur 20 Pfennige.
👉Erstes Bier und erste Liebe – oder: „My first cup was a Holsten"
Im Herbst 1960 feierten wir im Schleswiger Seekamp
unser Richtfest. Die Zimmerleute standen auf dem Dach und neben ihnen
hing das Schild mit der Aufschrift „Dipl. Ing. NN“.
Jahrelang hatte ich gerätselt, was denn wohl „Dippeling“ zu
bedeuten habe. Nach den Sprüchen der Zimmerleute und dem zertrümmerten Sektglas ging es zur
Baubude, die auf dem brachliegenden
Gelände neben der noch im Bau befindlichen Sankt-Jürgen-Schule
stand. Vati hatte einige Kisten Hamburger "Holstenbier" gekauft (was anderes
kannten wir kaum), die nun von den Zimmerleuten, Maurern, dem "Dippeling" und meinem Vater getrunken wurden. Die Kisten mit den leeren Flaschen
wurden in eine Ecke gestellt. Ich war damals neun Jahre alt und hatte
bisher zum Geburtstag nur Malzbier getrunken.
Da alle im lustigen Gespräch waren,
nutzten mein Freund Theo und ich die Gelegenheit und schauten uns jede "leere" Bierflasche
genauer an. Und tatsächlich waren in einigen von ihnen noch ein oder
gar zwei Schlucke Bier zurückgeblieben. So tranken wir also all die Reste und wurden immer übermütiger, sprangen herum und erzählten Unsinn.
Die Eltern ließen es durchgehen.
Ungefähr zu dieser Zeit war es auch, als meine Schwester Martina eines Tages aus der Schule kam und berichtete, dass ein neues Mädchen in ihre Klasse gekommen sei. Und wie Martina die Neue so beschrieb und berichtete, dass sie auch katholisch sei, habe ich mich sofort in sie verliebt, ohne sie je gesehen zu haben. Als sie dann nach ein paar Tagen meine Schwester zum Spielen abholte, bestätigten sich meine Gefühle für dieses Mädchen. Sie war zehn Jahre und ich war inzwischen zwölf Jahre alt. Ich glaube, das Ganze ging so über zwei Sommer. Wir waren zusammen im Luisenbad und liefen gemeinsam nach Hause, entlang den Bahnschienen, die damals noch vom Kreisbahnhof Richtung Zuckerfabrik führten. Es waren überaus sonnenreiche und heiße Sommer und ich spüre heute noch dieses erwachende Gefühl.
In der Kirche saß dieses Mädchen mit ihren Eltern immer in der zweiten Bankreihe und manchmal drehte sie sich zu mir um, was mein Herz natürlich höherschlagen ließ. Einmal durfte ich sie sogar zu Hause auf ihrem Zimmer besuchen und es gab O-Saft und dänische Kekse. Aber nie habe ich mich getraut, mit ihr Händchen zu halten, sie zu berühren, oder gar zu küssen – auch nicht auf die Wange. Nie – leider, denn ich mochte sie sehr, sehr gerne. Aber ich war unglaublich schüchtern.
Ja, dieses Mädchen war meine erste Liebe. Viele Jahre später – es war so um 1973 herum und ich war inzwischen zu einem wilden und langhaarigen Hippie und Schlagzeuger einer Rockband "mutiert" – sah ich sie mit ihrem Ehemann genau dort, wo gegenüber dem alten Postgebäude der kleine Gang hinunter zur „Brücke“ (VHS) führte. Als ich diesen erwähnen Gang zur VHS dann damals weiter entlanglief, um zu meinem roten Opel Kadett Coupé, der dort geparkt war zu gelangen, kamen mir zwei Mädchen entgegen und ich hörte wie die eine zur anderen sagen: „Hast du Jesus schon einmal von so Nahem gesehen?“ Hahaha! - Obwohl: Nur sieben Jahre später - was aber zu diesem Zeitpunkt nicht geplant war, begann ich mein Theologiestudium 550 Kilometer südlich von Schleswig und statt "hahaha" ..., gehörte ich ab dann sozusagen zum Bodenpersonal dieses langhaarigen (Klischee) Predigers. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, auf die ich im vorliegenden Büchlein noch mindestens einmal zurückkomme.
👉Hundebiss und Hundeliebe
Als wir im Sommer 1962 vom
Friedrichsberg in den Sankt Jürgen umgezogen waren, endete - wie schon erwähnt - der Seekamp an
unserem Haus. Erst Jahre später wurde die weiterführende Verbindung
zur Strasse „Am Brautsee“ entlang des Schulgeländes der gerade
fertig gestellten Sankt-Jürgen-Schule gebaut. Dort, wo dann beide
Straßen aufeinanderstießen, stand damals eine Litfaßsäule, bei
der ich zwölf Jahre später immer meine
letzte Zigarette rauchte, bevor ich im Morgengrauen vom „Störtebeker“ (angesagte Disco in Schleswig) nach Hause kam. Bis dahin war das alles Brachland und es hatte sich
hier eine riesige Pfütze gebildet. Sie war etwa 20 Meter lang und
acht Meter breit. In der Mitte war sie knietief. Freund Theo und
ich hatten uns ein Floß aus Holzbalken gebaut - und bewaffnet mit
langen Stangen schipperten wir auf dem Teich, unserem "Silbersee",
herum.
Genau unserem Häuschen gegenüber, im Reiheneckhaus, wohnte Familie Stein, zu der zwei Mädchen gehörten. Das war schön. Schön war jedoch nicht, dass es da auch einen Hund gab, der zwar klein, aber ungemein aggressiv und von undefinierbarer Herkunft war. Dieser Hund hieß "Purzel" und war von uns Kindern ziemlich gefürchtet. Nun spielten Theo und ich (wir waren zwölf Jahre alt) mal wieder an der besagten Riesenpfütze und waren im Begriff, von einem Ufer an das andere rüber zusetzen. Da kam eines der Steinmädchen mit Purzel an der Leine direkt an dem Floß vorüber. Wie immer zog Purzel heftig an der Leine, hechelte und fletschte mit den spitzen Zähnen.
Hatte
ich „Frauchen“ falsch angeschaut? Hatte ich irgend etwas Falsches
gesagt? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls biss mir der Köter in
meinen linken Unterschenkel. Ich hatte hohe, grüne Gummistiefel an,
darin meine lange Hose gestopft und – weil es schon Herbst war –
hatte ich auch noch lange Strümpfe an. All das schützte mich aber
nicht. Purzel biss sich bis auf meine Haut durch. Ich rannte sofort
nach Hause, zog mir Gummistiefel, Hose und Strümpfe aus und musste
gemeinsam mit Mutti feststellen, dass Purzels Hauer drei rotblaue
Stellen auf meinem Unterschenkel hinterlassen hatten. Tetanusspritze?
Nein. Strafanzeige? Nein. Gebranntes Kind und lebenslang Angst vor
Hunden? Nein! Im Gegenteil. Ich war selbst viele Jahre später
zweifacher Hundebesitzer (Schäferhundmischling in den 1990er Jahren,
schwarze Labradorhündin in den 2000er Jahren) und einmal – es war
Sylvester 1974 – habe ich sogar mit dem Bernhardiner meiner
Vermieter in Jübek (bei Schleswig) auf dem Teppich herumgetollt, während der noch junge (und
noch anständige :) "Otto" im Fernsehen herumblödelte. - Ach ja: Auch Hunde haben eine
Seele!
👉Feuerteufel im Quartier
Mein erstes Feuer machte ich mit
fünf Jahren. Wir wohnten damals - wie schon erwähnt - mit sechs Personen auf knapp 40
Quadratmetern im Schleswiger Dannewerkredder. Mutti war in der Küche am Werkeln und ich hatte ihr Mal wieder eine Schachtel Streichhölzer geklaut.
Im Kinderzimmer standen vier Betten, ein Schrank und ein kleiner
Tisch, unter den ich die Halskette (mit großen Holzkugeln) meiner
kleinen Schwester gelegt hatte. In
diesen Kreis hatte ich zusammengeknüllte Seiten aus dem
Schöpflin-Katalog ("Schöpflin" war neben "Quelle" ein bei uns beliebter Versand) gepackt und zündete nun dieses Papier an. Das
Versandhaus Schöpflin aus Haagen wurde 1964 von Quelle übernommen,
behielt aber noch lange seinen Namen.
Jedenfalls schlugen die ersten Flammen empor und ich warf die Streichholzschachtel mit den noch verbliebenen Zündhölzern ins Feuer. Es dauerte auch nicht lange, bis es eine Stichflamme gab und das Feuer bis hoch an die Tischplatte leckte. Gerade war ich schwer am überlegen, wie ich diese Krise bewältige, als meine Mutter die Kinderzimmertür aufriss und hineinstürmte. Sie muss es gespürt haben: Mutterinstinkt eben. Das Feuer wurde gelöscht und ich bekam eine heftige Ohrfeige. In der Folgezeit machte ich immer wieder hier und dort ein Feuer, so auch hinter den Garagen, die am Ende des Haithabuweges (ganz in der Nähe), wo dieser in den Haithaburing übergeht, standen. Direkt auf der Ecke dieser beiden Straßen wohnte damals übrigens „Schnucki“, dessen richtigen Vornamen niemand kannte. Es ging immer gut aus, obwohl das nicht selbstverständlich war. Vor allem in dem folgenden Fall.
Ein paar Jungs und ich hatten mal wieder irgendwo Streichhölzer her und wir zogen durch die Schrebergärten Richtung der alten Ruine, die oberhalb der Kiesgrube stand. Links davon befand sich ein kleines Wäldchen und unterhalb dieses Wäldchens gab es die Kohlehandlung „Tröndle“ und das noch heute in Betrieb befindliche Tauwerk "Oellerking". Und ausgerechnet hier machten wir unser Feuer. Es waren die Sommerferien und es hatte seit Wochen nicht geregnet. Wir hatten ordentlich Holz aufgeschichtet, und als uns die Flammen entgegenschlugen, bekamen wir die Panik. Wir versuchten das Feuer auszutreten, gar auszupusten und spuckten in es hinein. Völlig kontraproduktiv und unsinnig. So ergriffen wir die Flucht, wohl wissend, dass es bei „Tröndle“ nicht nur Kohlen, sondern auch Kessel mit Öl gab.
Als wir bei den Garagen am Haithabuweg angekommen waren (damals gab es da eine kleine Wiese mit Stangen und Wäscheleinen), packte uns doch das schlechte Gewissen und wir kehrten zum Tatort um. Da kam uns einer von den Halbstarken entgegen und bedeutete uns, dass er unsere Aktion und Flucht von der Ruine her beobachtet und das Feuer dann gelöscht hatte. Wahrscheinlich auch so eine Art von Engel. Mein letztes Feuer habe ich übrigens vor zwölf Jahren gemacht. Es war eine Pfeife, die ich noch einmal entzündete. Ich hatte damit Anfang der 1990er Jahre nach 15 Jahren Abstinenz wieder angefangen.
👉Vom Schlammserkönig und
dem Monopol
Im letzten Haus des damaligen Thyrawegs, am äußersten Rand des Ortsteils "Friedrichsberg", auf der
linken Seite, wohnte unser Schlammserkönig. Er besaß an die 3.000
Marmeln (Murmeln), die er sortiert nach Größe in Kisten im Keller
aufbewahrte. Es gab Marmeln für 1/2 Pfennig, für 1 Pfennig, für 2 Pfennige und für
5 Pfennige und mehr. An den Vornamen dieses Jungen kann ich mich
leider nicht mehr erinnern, aber er könnte Siggi geheißen haben.
Nach Siggis Haus kamen damals nur noch Felder und Äcker. Das war
Ende der 1950er Jahre. Abelsteg und Erikstrasse wurden erst ein paar
Jahre später in Angriff genommen. Der Thyraweg endete dort, wo
damals und wohl auch noch heute der Friedhof auf der anderen Seite
endete. Meine Mutti hatte mir einen kleinen Beutel genäht, in dem
ich meine Marmeln aufbewahrte. Ich war kein besonders guter Spieler
und meist war mein kleiner Vorrat auf zehn Marmeln
zusammengeschrumpft.
Die Straßen, Wege und Plätze waren damals alle noch nicht geteert, oder mit Pflastersteinen oder Betonplatten belegt. So konnten wir ohne Probleme hier und dort kleine Kuhlen graben und „schlammsen“. Dabei verlor ich dann meist gegen Wolfgang und seinen größeren Uwe, gegen Kurt, Peter, Wolfgang und seinen Bruder Bernd, wahrscheinlich auch gegen gegen Alfons, mit dem ich später noch eine andere Geschichte erlebte.
Murmeln (Marmeln) sind seit 3000 v. Chr. aus Babylonien, später dem Römischen Reich und Germanien bekannt. Dieses Wort leitet sich von "Mamor" ab, dem ursprünglichen Material, aus dem die Spielkugeln bestanden. Von Kaiser Augustus wird berichtet, dass er stets Murmeln bei sich trug und sich gern unter die spielenden Kinder mischte. Die 12-Jährige Anne Frank hatte kurz vor ihrem Sich-Verstecken ihre 161 Marmeln der Freundin übergeben. Diese Marmeln haben überlebt und wurden 2014 in Rotterdam ausgestellt. Die Produktion der modernen Glasmurmeln begann 1848 in Thüringen. Der Glasbläser Christoph Greiner hatte das Monopol auf die Herstellung dieser Glaskugeln, wobei sein Schwiegervater ihn auf diese Idee brachte. Ursprünglich wollte dieser nämlich kostengünstigere Glasaugen produzieren, wobei dann die Glasmurmeln herauskamen. Seit 1996 werden sogar Deutsche Meisterschaften im Murmeln ausgetragen. - - -
Nun bekam ich damals pro Woche 20 Pfennige Taschengeld. Zehn Pfennige gingen für Naschkram bei "Sauerbaum" oder dem kleinen Kiosk auf dem Weg in die "Bugenhagenschule", dort wo es zur Fritz-Reuter-Straße hinauf ging, drauf - und ab und zu kaufte ich bei Sauerbaums für 5 Pfennige eine Schachtel Streichhölzer, auf der das Wort „Monopol“ stand. Ich war als Kind nämlich ein „Feuerteufel“, worüber ich schon berichtete. Meine Eltern hatten mir erklärt, was ein „Monopol“ ist. Das Zündwarenmonopol lag seit 1930 bei der jeweiligen deutschen Regierung und wurde erst im Januar 1983 aufgehoben. Da nun die Marmeln nicht gerade billig waren, konnten man auch bei Siggi welche zu einem günstigeren Kurs erwerben. Es war in unserer Siedlung ein ungeschriebenes Gesetz, dass nur Siggi mit Marmeln handeln durfte. Also auch so eine Art Monopolist. Einmal war ich im doppelten Sinne „abgebrannt“: Marmeln = null; Moneten = 4 Pfennige. Als ich ehrfürchtig die Treppe in den Keller zu dem „Schlammserkönig“ herabstieg, hatte ich Herzklopfen. Siggi fragte mich, wie viel Geld ich denn dabeihätte. Und als ich die beiden Münzen aus der Hosentaschehervorgekramte, sagte er zu mir: „Weil du so gut Fußball spielst (Thyraweg und Dannewerkredder bildeten eine Mannschaft) und ich deinen großen Bruder Dalle kenne, bekommst du dafür fünf „Einser“ und zwei „Zweier“.
Damit hatte ich den Rest meines Taschengeldes mehr als verdoppelt und machte daraus durch ein paar glückliche Spiele Marmeln im Wert von fast einer Mark. Doch bald hatte ich wieder alles verspielt. Aber es waren ja nur Marmeln. 15 Jahre später saß ich sonntags nach dem Gottesdienst bzw. der Heiligen Messe beim Frühschoppen, gegenüber der katholischen Kirche im Lollfuss, in der Kneipe (heute ist das ein „Italiener“) und hockte da am Spielautomaten. Ich habe' es aber bald sein gelassen, denn ich erkannte, dass man(n) bei solchen Sachen immer der Verlierer ist. Jedenfalls hatte ich nie Glück im Spiel. Und in der Liebe? Das kommt später dran.
Mit den Autos durch die
1960er und 1970er Jahre – in Schleswig und durch die halbe
Welt
Das erste Auto, das mein Vater fuhr, war ein grauer
VW-Käfer mit kleiner und geteilter Heckscheibe. Das war 1960. Wir wohnten da noch
im Dannewerkredder. Sonntags im Sommer – nach dem Kirchbesuch in
der Sankt Ansgarkirche im Lollfuss 61 – fuhren wir bei gutem Wetter
damit nach Eckernförde zum Baden. Der Strand lag (und liegt auch heute noch) direkt an der Bundesstrasse. 1965 erwarb mein Vater
bei Ford Timm im Friedrichsberg einen hochmodernen Ford Taunus 12 M.
Als mein Vater mich einmal damit zur Bruno-Lorenzen-Schule brachte,
staunten meine Schulkameraden nicht schlecht. Dabei war er eigentlich
nur die kleine Ausgabe des Ford Taunus – es gab noch den 15 M und
den 17 M, später sogar 20 M und 26 M. Das „M“ stand für
„Meisterstück“. Mein erstes Auto, das ich selbst fuhr, war ein
Simca (Société Industrielle de Mécanique et Carosserie
Automobile). Es gehörte aber nicht mir, sondern meinem
Fahrschullehrer, Herrn Materne. Mit dem Simca, den es seit 1978 nicht
mehr gibt, absolvierte ich meine 17 Fahrstunden und meine Prüfung.
Die Fahrschule war auf der Ecke Schubystrasse./Feldstrasse (vorher in
dem ehemaligen Pelzgeschäft auf der Ecke Lollfuss/Guttenbergstrasse)
und mein Führerschein kostete mich 575 Mark. Das war 1971 und im
selben Jahr kaufte ich mir einen gebrauchten roten Fiat 500 mit
schwarzem Faltdach, Zwischengas, Anlasser, 13,5 PS, Baujahr 1959 und
mit einer Höchstgeschwindigkeit von 85 Kmh. Nach drei Monaten
brannte mir der Zylinderkopf durch und ich versuchte, das Loch immer
wieder mit Asbestschnüren abzudichten. Das hielt meist aber nur
einige Kilometer und dann hörte sich mein Fiat wie ein Panzer an. So
erwarb ich im Frühjahr 1972 einen roten Opel Kadett Coupé mit dem
ich im Spätsommer gemeinsam mit Freund Thomas zuerst nach München
und dann weiter an den Achensee in Österreich fuhr. In den Kasseler
Bergen fuhr ich den Kadett abwärts bis auf Anschlag: 160 Km/h, und
aufwärts musste ich ihn bis in den 2.Gang zurückschalten. In
München sahen wir uns, wenige Tage vor Eröffnung der Olympischen
Spiele, das entsprechende Gelände an und waren auch in der
Schwimmhalle. Wenige Tage später kam es zu dem schlimmen Attentat
auf die israelischen Sportler. Aber da waren wir schon in Austria.
1974 – als ich kurz mal in Jübek wohnte – fuhr ich für ein paar
Monate einen grünen VW 1200 (Käfer). Damals erzählte man sich
folgende Geschichte. Auf der B76 zwischen Flensburg und Schleswig,
hatte ein VW-Käfer-Fahrer eine Panne und blieb rechts liegen. Wenig
später hält hinter ihm ein Auto – ebenfalls ein VW-Käfer. „Was
ist los?“, fragte der Helfer. „Oh,“ meinte der andere, „mein
Auto ist einfach stehengeblieben und springt nicht mehr an.“ Da
öffnet der zweite VW-Fahrer die vordere Haube des liegengebliebenen
Autos und meint: „Kein Wunder, dass das Auto nicht fährt. Sie
haben ja gar keinen Motor. Aber das macht nichts, ich habe bei mir
hinten noch einen in Ersatz.“ Noch im Herbst desselben Jahres, gab
es für mich die Möglichkeit, einen BMW – V 8 zu erwerben, der
meinem früheren Schulkamerad (1959-62 Bugenhagenschule) Joachim
"Jockel" Clasen gehörte. Der Wagen hatte acht Zylinder,
110 PS, 2600 cm³, Baujahr 1962, Lenkradschaltung und ein
Armaturenbrett aus Echtholz. Farbe war beige. Im Sommer 1975 fuhr ich
gemeinsam mit drei Freunden aus Schleswig und Schuby damit bis nach
Südfrankreich in die Stadt Saint Marie de la Mer. Es war die
Camargue mit den wilden Pferden und wir waren um den 14. Juli, dem
französischen Nationalfeiertag dort. Abends, wenn die brütende
Hitze nachgelassen hatte, setzten wir uns oft in einen der
Biergärten. Einmal sah ich dort Paul Mc Cartney sitzen (meinte ich
jedenfalls), aber ich wagte mich nicht, ihn anzusprechen und meine
Freunde wollten es mir auch nicht glauben. Jedenfalls waren zu der
Zeit wieder einmal viele Roma und Sinti aus ganz Europa hier
versammelt. Das ist bis heute so Tradition. Genau am 1.September 1975
zog ich zurück nach Schleswig, direkt neben die Bugenhagenschule Friedrichstrasse 111. Mein V 8 war nicht mehr richtig fahrtüchtig. Er verlor innerhalb
einer halben Stunde die gesamte Bremsflüssigkeit und ich kam an
keine neuen Bremsschläuche ran. So stand er da nun vor dem Haus
Friedrichstrasse 111. Mein Freund Gert, der mit mir auf dem Finanzamt
Eckernförde arbeitete und damals in der Fritz-Reuter-Strasse wohnte, nahm
mich dankenswerterweise jeden Morgen in seinem Opel Rekord mit. Und
das ist auch eine Geschichte wert.
Schleigeschichten
Zu
meiner Zeit im Norden (1951 bis 1980) hieß es einfach „Schleswig an der Schlei“ (PLZ 238)
und heute sagt man „Die Wikingerstadt am Ostseefjord“ (24837).
Damals (1971) hatten wir gut 35.000 Einwohner, heute sind es nur noch 25.800. - - - Ab dem Jahr 1961 (34.400 E.) fuhren wir mit
den katholischen Jugendgruppen an jedem 1. Mai nach Weseby. Das war
auch gleichzeitig die Eröffnung der Schleischifffahrtssaison. Von
der kleinen roten Kirche im Lollfuss liefen wir zum Schiffsanleger
gegenüber der alten Schleihalle, die damals natürlich noch stand und
bestiegen die „Möwe“ mit ihrem Kapitän, Herrn Bischoff. Im
frischen Morgenwind ging es vorbei an der Möweninsel. Im Winter 1962
war ich mit meinem Vater und meinen Geschwistern diese Strecke auf
der damals zugefrorenen Schlei bis hierher gewandert. Eigentlich war
die Möweninsel Vogelschutzgebiet und durfte nicht betreten werden.
Jedoch war dies erlaubt, wenn es eben die Eisverhältnisse zuließen.
So betraten wir damals den letzten weißen Fleck Schleswigs.
Ansonsten durfte dies nur der „Möwenkönig“ tun. Um 1110 n.Chr.
baute Knud Lavard die Jürgensburg auf der Insel, von der es heute
(und auch 1962) keine Reste mir gibt. Im Mittelalter konnte man die
Möweninsel von der Altstadt her sogar über einen Holzsteg
erreichen. Lachmöwen gibt es nachgewiesen auf der Insel seit 1739. -
Auf der rechten Seite lag Haddeby. In den 1950er Jahren, als wir noch
kein Auto hatten, sind wir als Familie oft vom Dannewerkredder mit
dem Bus zur Schleihalle gefahren und von dort mit dem offenen Boot
„Hans“ rüber nach Haddeby getuckert. Damals gab es in Haddeby
rechts vom Schiffsanleger noch einen richtig breiten Sandstrand und
wir bauten Burgen und plantschten im sauberen Schleiwasser. Da sich
die meisten Schleswiger im Louisenbad, oder Marienbad, oder gar an
Eckernförder Bucht aufhielten, hatten wir diese Idylle meist für
uns alleine. Als ich im Herbst Jahres 2015 (also nach
fast 60 Jahren) genau an dieser Stelle war, fand ich nur noch Schilf
bis ans Wasser und einen kleinen Yachthafen samt monströsem
Eisenkran vor. Aber das Café (heute „Odins“) an der Hauptstrasse
gab es damals schon und im Garten, im Schatten der damals bereits
mächtigen Bäume, tranken wir Kinder ein Glas „Sinalco“ (sine
alcohole = ohne Alkohol). - Nachdem wir die "Kleine Breite" und die
Meerenge von Reesholm (Stexwiger Enge) hinter uns hatten, ging es
über die nicht ganz ungefährliche Große Breite. Hier kam die
„Möwe“ bei ungünstigem Wind oft ins Schaukeln. Natürlich
passierte uns nichts. Ganz anders fast Andreas, meinem älteren
Bruder. Unser damaliger Kaplan Mayer hatte ziemlich reiche Eltern.
Sie besaßen in Osnabrück ein großes Café und sponserten der
Schleswiger Kirchengemeinde für die Jugendarbeit ein Sportruderboot:
ein Achter mit Steuermann. Andreas und „seine“ Crew, mit Hermann
Grewe von der Band "Gourmands" (+), Siggi Mydlarz, Axel Schüssler, Hänschen Braun, Godehard
Sommer und anderen, fuhren mit diesem Boot von dem Schiffsschuppen,
der neben dem Freibad (links neben Luisenbad) stand, hinaus auf die
Schlei bis nach Missunde und zurück. Bei einem ihrer Ausflüge wären
sie fast mitten auf der Großen Breite gekentert, was ziemlich
schlimm hätte ausgehen können, denn hier ist die Schlei über vier
Kilometer breit. - Als wir nun mit der „Möwe“ in Missunde (Sund
= Meerenge) angelegt hatten, setzten wir (mit der von Hand
betriebenen?) Fähre rüber von Angeln nach Schwansen (von einem Ufer
zum anderen sind es hier nur 130 Meter und die Fähre gibt es seit 1960)
und wanderten in einer langen Kolonne bis an die Steilküste von
Weseby, von wo man gegenüber der Bucht der Großen Breite die alte
Ziegelei von Borgwedel sehen konnte. An der Steilküste tobten wir
rum und spielten am Strand viel Fußball. Es muss 1961 gewesen sein,
als Peter Moldenhauer, von uns nur „Pemo“ genannt, mit vier von
uns Jungs nach Borgwedel zur alten Ziegelei fuhr, um mit uns ein paar
Tage dort zu zelten. Am ersten Abend gab es Erbsensuppe mit
Kochmettwürsten und vorher hatte ich mir meinen rechten
Unterschenkel heftig zwischen den Puffern zweier Loren, mit denen wir
auf den noch vorhandenen Gleisen herumfuhren, eingeklemmt. Bereits am
nächsten Vormittag war es aber vorbei. Pemo hatte nämlich ein paar
finstere Gestalten, die um die Ziegelei schlichen ausgemacht, bekam
die Panik und befahl, dass wir sofort die Zelte abbauen (besser:
abreißen) und unsere Klamotten, so wie sie waren, in den Kofferraum
des VWs stopfen sollten. Dann brauste er mit uns los, zurück auf die
Hauptstrasse. Meine Mutter war hell entsetzt, als mich Pemo im
Dannewerkredder abgesetzt hatte, denn all meine Sachen lagen wild
durcheinander vor unserer Haustür. Und was Weseby anbetrifft: Zehn
Jahre später habe ich hier mit meinem guten Kumpel Olaf „Ollie“
Erichsen einen meiner ersten Filme mit einer „Super 8“ – Kamera
gedreht. Wir beide total langhaarig, verwegen schauend und ich
spielte auf einer zwölfsaitigen Gitarre, die ich bei „Musik
Reuter“ am Kornmarkt ganz spontan gekauft hatte. Den Film gibt es
leider nicht mehr. Und das ist eine andere, etwas ärgerliche
Geschichte, die ich vielleicht auch einmal erzähle.
Von Kiesgruben, einem Dampfbagger und Panzer
Im November 1957 wurde mit dem Bau der Schleswiger
Umgehungsstrasse begonnen. Die Bauarbeiten dauerten vier Jahre.
Damals spielten wir oft auf dem Gelände hinter der Bugenhagenschule.
Eigentlich mehr links davon und es war ein unwegsames und sumpfiges
Gebiet (Öhr), wo wir auch Rohrkolben (wir nannten sie Fackeln)
schnitten und sie im Husumer Baum für 10 Pfennige das Stück
verkauften. Oder wir zündeten sie an und sie qualmten vor sich hin,
deswegen „Fackeln“. Eine feste Strasse durch eine Kastanienallee
führte zu einer alten Villa, wo ich mich aber nie hinwagte. Die
Villa, eigentlich ein Landhaus, stand dort bis 1973. Ich kann mich
gut an die Bauarbeiten an der Umgehungsstrasse erinnern und vor allem
daran, wie der Damm entlang der Schlei höher und höher
aufgeschüttet wurde. Ein Teil dieses Aufschüttungsmaterials kam aus
der Kiesgrube gegenüber der Taufabrik Öllerking an der
Margarethenwallstrasse. Eigentlich gab es da zur damaligen Zeit drei
Kiesgruben. Die Vordere, am Beginn der Taufabrik und neben
„Kohle-Tröndle“, die Mittlere am Ende der Fabrik, an deren Fuß,
ein riesiger, grüner Öltank (BP) stand, und die Hintere, wo die
Straße in einer Sackgasse endete und wo Heinerle und Peterle aus
meiner Schulklasse lebten. Für uns Kinder war bisher immer die
mittlere Kiesgrube der Favorit gewesen. Einmal führte sich einer der
Halbstarken als „General“ auf. Wir mussten „Bunker“ in den
Abhang graben und wir mussten vor ihm salutieren. Das habe ich nie
fertiggebracht, obwohl mich „mein Vorgesetzter“ deswegen ganz
schön zurechtwies. Aber bis heute habe ich so etwas nie tun müssen
und wollte es auch nicht … Der Sand für den Damm der neuen B 76 (E
3) kam jedoch aus der vorderen Kiesgrube. Ich habe oft zugeschaut,
wie der Bagger die Lastwagen belud und dabei mächtig qualmte. Dieser
Bagger war schon damals so etwas wie ein Oldtimer und Sensation für
uns Kinder. Denn er wurde nicht mit Dieselöl betrieben, sondern mit
Wasserdampf, also mit einer Dampfmaschine. Es war einer der noch
„lebenden“ Dampfbagger, die eigentlich seit Mitte der 1930er
Jahre mehr und mehr durch solche mit Diesel- oder Elektromotor
abgelöst worden waren. Eines Tages kam bei den Abbauarbeiten in
dieser Kiesgrube tatsächlich ein alter Panzer zum Vorschein. Ich
habe ihn selbst gesehen. Das Ende des 2. Weltkrieges war noch nicht
einmal 15 Jahre her und es könnte auch sein, dass es sich um einen
Panzer aus dem 1. Weltkrieg gehandelt hat. Aber wer weiß. Noch
einmal 18 Jahre später verlor die Umgehungsstrasse durch die
Fertigstellung der Autobahn A 7 an Schleswig vorbei und bis Flensburg
an Bedeutung. Im September 2015 bin ich mit
meinem alten Freund Willi auf diesem Schleswiger Umgehungswall gefahren, als wir beide
unterwegs nach Kiel waren, wo wir uns nach 38 Jahren das erste Mal
wieder mit den restlichen Jungs der legendären Schleswiger Rockband
„Menetekel“ aus den 1970er Jahren getroffen haben, um unser
Comeback für 2016 zu planen. Wir alle … sind alt geworden :)
Scherben bringen [nicht
immer] Glück
Zu meinen Freunden gehörten Peter Lohse und die
Brüder Heinerle und Peterle Clausen, die mit ihren Eltern inmitten
der Kiesgrube ganz am Ende der Margarethenwallstrasse wohnten. Vom
Dannewerkredder her, wo ich damals zu Hause war, nur einen Steinwurf
von der Kiesgrube entfernt gab es einen Abhang, von dem wir uns oft
bäuchlings herunterrollen ließen. Auch an jenem Tag, im Sommer
1961, spielten wir dieses Spiel. Zuerst Peter Lohse aus dem Thyraweg,
dann Peterle und zum Schluss ich. Als ich unten angekommen und
aufgestanden war, scheuerte mir Peterle ohne Grund und Vorwarnung mit
der flachen Hand eine ins Gesicht. Ich war total geschockt, sauer und
sehr zornig. Ohne was zu sagen, bückte ich mich und nahm das Erste,
was ich sah in die rechte Hand und schleuderte es Peterle an den
Unterschenkel. Wir alle hatten kurze Lederhosen an. Das war in den
Monaten Mai bis September grundsätzlich jeden Tag so. Wäre es doch
ein Stein gewesen! War es aber nicht, sondern es war eine weiße
Glasscherbe, die da unerklärlicher Weise am Boden gelegen hatte,
etwa so groß wie ein Fünf-Mark-Stück (Heiermann). Dieses Geschoss
verschwand im Bein meines Freundes und blieb auch dort, bis es nach
gefühlten fünf langen Sekunden gemeinsam mit einem Schwall von Blut
wieder herausgeschleudert wurde. Peterle schrie wie ein abgestochener
Stier. Sofort sah ich meinen Vater im Gefängnis und mich im
gefürchteten Paulihof, irgendwo Richtung Hühnerhäuser mitten im
Wald. Peterle humpelte los in Richtung Kiesgrube und Peter stützte
ihn ab. Ich selbst rannte auf die Strasse, die an Öllerking vorbei
Richtung dem Husumer Baum führt und schrie um Hilfe, was sinnlos
war, denn damals war es da sehr einsam. Dann, nach wohl 10 Minuten,
kam ein Krankenwagen von Richtung „Kohlen-Tröndle“ und Peterle
kam ins Krankenhaus. Ich selbst schlich den langen Dannewerkredder
nach Hause. Mein Verbrechen muss sich schon herumgesprochen haben,
denn all die Jungs aus der Siedlung deuteten mir an, dass sie
Bescheid wüssten und einige riefen. „Das wird ein Arschvoll
geben!“ Stimmte nicht, denn ich bekam derer zwei! Als ich nach
Hause kam, wusste meine Mutter sofort, dass ich was Schreckliches
angestellt hatte. Sie brauchte mir nur in die Augen zu schauen. Ich
beichtete ihr meine Untat und postwendend bekam ich was mit dem
Kochlöffel auf den nackten Hintern. Als abends mein Vater nach
getaner Arbeit nach Hause kam und es ein recht lautes Gespräch
zwischen ihm und der Mutter gab, musste ich hinaus in den Flur und
bekam noch einmal ein paar heftige Schläge mit dem Teppichklopfer
aus Rohr von meinem Vater – ebenfalls auf den Nackten. Natürlich
habe ich Peterle dann im Krankenhaus besucht und ihm Süßigkeiten
mitgebracht. Als ich nun nach 55 Jahren die Stelle meiner Missetat
aufsuchte, musste ich feststellen, dass es zwar den Abhang noch gibt,
dieser aber mit bis zu zehn Meter hohen Bäumen und hohem Gebüsch
völlig zugewachsen ist. Ich hoffe, auch Peterle’s tiefe Wunde am
Bein und in der Seele ist so zugewachsen, wie dieser Hang – die
Erinnerung jedoch wird bleiben ...
Klein – kleiner - Stefan
Am Ende
des Thyrawegs, da wo heute der Abelsteg und andere Straßen
verlaufen, gab es Ende der 1950er Jahre nur eine riesige Koppel,
Äcker und viele Felder. Auf der Koppel trugen wir – Strasse gegen
Strasse – unsere Fussballwettkämpfe aus. Obwohl ich mit acht
Jahren einen halben Kopf kleiner war als meine Altersgenossen, durfte
ich mitspielen. Als Rechtsaußen nämlich war ich ungemein schnell
und rannte sogar den Großen davon. Ich war nicht schlecht, aber
meine Eltern haben mir immer verboten, beim SV Friedrichsberg oder
Schleswig 06 Mitglied zu werden, da ja die Spiele immer sonntags
stattfanden und wir als „Katholen“ an diesem Tag zur Kirche
gingen und überhaupt soll man ja am Sonntag ruhen. Wer weiß,
vielleicht hätte es 06 damals geschafft über die Landesliga
hinauszukommen . Jedenfalls kann ich mich an jenes Spiel erinnern, wo
ich ausnahmsweise Mal im Tor stand (oder stehen musste) und es
fürchterlich regnete. Ich gehörte zur Mannschaft meines großen
Bruders Andreas, genannt auch „Dalle“. Es ging hin und her. Dann
ein Angriff des Gegners, dessen Mittelfeldspieler fünf Meter vor
meinem Tor voll abzog. Damals waren die Fußbälle noch aus grobem,
nicht imprägniertem Leder, das sich bei Regenwetter voll mit Wasser
sog und an dem der Schlamm so richtig anpappte. Dieser Ball aus
kurzer Distanz abgefeuert, landete mitten in meinem kleinen und
vernarbten Gesicht. Das klatschte und tat so weh, dass ich es heute
noch höre und spüre. Aber ich habe weitergespielt. Ein Schleswiger
gibt nicht so schnell auf. Apropos Körpergröße. Zwei Jahre zuvor
sollte ich eingeschult werden. Als meine Mutter mit mir im Büro von
Rektor Jürgensen (Bugenhagenschule) war, meinte dieser, ich solle
doch mal zur Tür gehen und sie aufmachen. Da stand ich nun und
versuchte, die Türklinke zu erreichen. Es gelang mir nicht. Ich
stellte mich auf die Zehenspitzen und streckte meine Ärmchen aus.
Zwar konnte ich nun die Türklinke berühren, aber bei dem Versuch
sie hinunterzudrücken, rutschte ich immer wieder von ihr ab. Da
hörte ich Rektor Jürgensen zu meiner Mutter sagen. „Da müssen
wir wohl noch ein Jahr warten.“ Und so kam es und so war es auch
gut, denn so bekam ich Frau Benckmann als Klassenlehrerin und lernte
Jockel Clasen aus dem Thyraweg und Heinerle und Peterle Clausen aus
der Kiesgrube am Ende der Margarethenwallstrasse kennen. Und dazu
gibt es auch noch eine Geschichte (SSG 20) … Übrigens war ich bis
zur neunten Klasse der Bruno-Lorenzen-Schule von allen (Mädchen und
Jungen) immer der Kleinste und wurde deswegen auch geärgert (heute
sagt man: gemobbt) und rumgeschuckt. Erst als ich dann in besagter
neunter Klasse sitzenblieb und in die Klasse von Volker Kruse kam,
war da Heinz, der noch einmal ein paar Zentimeter kleiner als ich
war. Das hob mein Selbstvertrauen. Doch bald musste ich dieses
woanders herholen, denn im Laufe der zehnten Klasse wuchs Heinz im
wahrsten Sinne des Wortes über mich hinaus. Und als wir auf
Abschlussfahrt mit unserem Klassenlehrer Herrn Lojewski im Zug nach
Oberstdorf saßen, war ich wieder mal der Kleinste im Waggon. In der
folgenden einjährigen Höheren Handelsschule, dann im
Ausbildungslehrgang beim Schleswiger Finanzamt und in unserer
Schleswiger Rockband „Menetekel“ war ich immer der Kleinste –
bis heute hin, denn vor wenigen Monaten haben wir uns nach 38 Jahren
in Schleswig wieder getroffen: Willi Lück (heute Taarstedt), Charlie
Rutz + (Bad Segeberg), Thomas Sommer (Strande), Volker Kruse (Kiel)
und ich (Ravensburg, Nähe Bodensee). Ich war und bin der
Schlagzeuger – da fällt es nicht so auf, wenn man klein ist. :)
:)
Rollergeschichten – Gibt’s doch gar
nicht, doch bei … :)
Zu meinem 16. Geburtstag bekam ich endlich
ein Fahrrad geschenkt. Mein reicher Patenonkel Reinhard aus Dortmund,
der dort ein Delikatessenfachgeschäft betrieb, hatte es mit 100 Mark
gesponsert. Die Jahre davor hatte ich alle Strecken, die ich nicht zu
Fuß ablief oder mit dem Bus fuhr, mit dem Roller zurückgelegt. Und
es machte mir ungemein Spaß. Mehr als einmal baute ich mit diesem
Gefährt durch meinen ungestümen Fahrten Unfälle und in den
Sommermonaten waren meine Knie grundsätzlich immer aufgeschlagen.
Als wir im Dannewerkredder wohnten (1951 – 62) und ich schon die
Bugenhagenschule bei Frau Benckmann besuchte, holte ich mittags immer
meine jüngeren Geschwister vom Kindergarten im Hornbrunnen ab.
Zuerst meine Schwester Martina und später meinen kleineren Bruder
Christoph. Ich hatte selbst vorher bei Tante Mine vormittags meine
Kindheit verbracht. Und das Abholen tat ich natürlich mit dem
Roller. Die Hinfahrt, den Husumerbaum runter über die Bahnschienen
nahe der Kohlehandlung Tröndle und durch die Fritz-Reuter-Straße,
war ja kein Problem. Im Husumer Baum standen damals noch die
Nachkriegsholzbaracken (gegenüber dem damals noch vorhandenen
Fußballplatzes vom SV Friedrichsberg) und auf dem ersten Haus in der
Fritz-Reuter-Straße gab es die Sirene für den Fall eines russischen
Luftangriffs (kalter Krieg). Die Rückfahrt gestaltete sich jedoch
als eher schwierig. Meine Schwester und eben später mein Bruder
setzten sich mit dem Hosenboden auf den vorderen Teil des
Trittbrettes und legten ihre Füße auf das Schutzblech des
Vorderrades und schlagen so also ihre Beine um die Lenkstange. Und so
ginge es los, den Weg zurück. Da wo die Fritz-Reuter-Strasse auf den
Husumer Baum trifft, war gleich rechts (und ist noch heute) die
Bahnunterführung. Doch bevor wir da durchfuhren, machten wir noch
einen Abstecher 20 Meter nach links, wo eine „Bude“ (Kiosk)
stand, bei der man Süßigkeiten kaufen konnte. Meist war es eine
Tüte Salmis für 5 Pfennige, oder zwei Lollis, die wir dann auf dem
Restrückweg gemeinsam und genüsslich lutschten. Als wir dann im
Seekamp wohnten, kam ich eines Tages auf die verrückte Idee,
gemeinsam mit Christoph auf dem Roller Richtung Missunde zu fahren
und zwar genau in der Kinderkartenrückholweise. Mutti schmierte uns
ein paar Stullen und gab uns eine Zitronensprudel (Bismarckquelle)
mit. Das alles packte ich in einen sogenannten Matchbeutel, hängte
ihn mir über die Schulter und los ging es. Den Seekamp runter,
rechts am Brautsee und links am Butterwerk vorbei und dann auf die
Chaussee Richtung Süderbrarup, also die heutige Schleidörfer
Strasse. Die B 201 in der Form gab es noch nicht, sondern nur ein
kleines Teilstück davon, das wir allgemein als „Panzerstrasse“
bezeichneten. Obwohl es damals – Herbst 1963 – noch nicht soviel
Straßenverkehr gab, war es doch aus Mangel von irgendwelchen
Fahrradwegen nicht ungefährlich, die Schleidörfer Strasse in der
Weise zu befahren. Dazu, daran kann ich mich gut erinnern, fuhren wir
auch noch auf der falschen Straßenseite. Als die Zuckerfabrik
rechter Hand in Sicht kam (da rauchte und roch es noch ordentlich),
machten wir schon unsere erste Rast und in Klensby waren die Stullen
aufgefuttert und die Brause war leer. Nun ließen wir Moldenit links
liegen und näherten uns Füsing. Wir waren auf einer kleinen
„Anhöhe“ angekommen und ich stoppte. „Was ist?“ fragte
Christoph. Ich streckte meinen Arm nach vorne aus und meinte: „Siehst
du dahinten das kleine Wäldchen bei der Straßenkurve.“ Mich
erinnerte dieses dunkle Waldstück irgendwie an den „Krähenwald“,
der zwischen Haddeby und Haithabu liegt. Da sind wir oft als Familie
spazieren gegangen. Doch hier waren wir völlig allein, ohne Vati und
Mutti. Und wer weiß, welche Gefahren da auf uns lauerten. So
beschloss ich, dass wir unverzüglich umkehrten. Zwar protestierte
mein kleiner Bruder, denn er wollte unbedingt die Fähre in Missunde
sehen, aber es half nichts. So fuhren wir zurück bis Schleswig und
zwar schneller, als zuvor, obwohl wir nun den Wind gegen uns hatten.
:)
Die Rache des großen Vogelbruders
Als
ich im Sankt Jürgen wohnte (1962 – 74), war Thomas mein bester
Freund. Er wohnte Am Brautsee und ich im Seekamp (letztes Haus vor
der Schule). Wir machten natürlich auch viel Blödsinn und nicht
alles davon blieb ungestraft. So auch hier. An einem Tag im Sommer
1963 spielten wir bei uns im Garten und hatten nichts Besseres vor,
als Steine nach den tief fliegenden Schwalben zu werfen, um die ein
oder andere von ihnen zu treffen. Das machten wir mit Begeisterung
wohl eine viertel Stunde, bis meine Mutter an die Scheibe klopfte und
ihren berühmten Zeigefinger drohend hob. Stattdessen schickte sie
mich nun mit einer Milchkanne aus Blech zum Kaufmann, um dort zwei
Liter Milch zu kaufen. Thomas begleitete mich. Wir mussten dazu über
die große Wiese, das „Feld“ und über den Schulhof, der gerade
fertiggestellten Sankt – Jürgen – Schule laufen. Der
Kaufmannsladen war genau an der Ecke August-Sach-Str./Johannistaler Weg (dort wo auch meine heimliche Liebe wohnte).
Als wir auf dem Rückweg bei dem Feld angekommen waren, stürzte sich
wie aus heiterem Himmel ein riesiger, schwarzer Vogel auf uns. So
einen hatten wir noch nie gesehen. Er sah wie ein Rabe aus, war aber
mindestens doppelt so groß. Wie wir später herausfanden, war es ein
Kolkrabe, der in Europa bis 1940 fast ausgestorben war und sich dann
aber durch mangelnde Verfolgung wieder vermehren konnte. Der Kolkrabe
ist mit einer Körperlänge von 54 bis 67 cm und einer
Flügelspannweite von 115 bis 130 cm größer als ein Mäusebussard
und der mit Abstand größte europäische Rabenvogel. (wikipedia)
Dieses gewaltige Tier kam mir bzw. meinem Haarschopf so nahe, dass
ich um mein Leben fürchtete. Ich schmiss die volle Milchkanne in
hohen Bogen weg und rannte, was ich konnte, nach Hause. Thomas
natürlich auch. Zu Hause angekommen, wunderte sich Mutti natürlich,
da die Milchkanne fehlte und als wir ihr erzählten, was uns passiert
war, schaute sie mich streng an und meinte: „Das war wohl die Rache
des großen Vogelbruders, wegen der Schwalben, die ihr gerade noch
geärgert habt.“ Ich hab’s geglaubt und glaube es bis heute …
jedenfalls habe ich nie wieder Jagd auf Vögel gemacht ...
Von Alfons, dem Flieder, viel Blut,
einem Engel und "Bergen"
Eines Tages kam Freund Alfons
auf die Idee – es war im Herbst 1960 – dass wir unseren Müttern
jeweils einen Fliederstrauß schenken könnten. Er hatte auch schon
zwei Messer besorgt, denn meine Mutter hätte es mir eh verweigert,
weswegen ich erst gar nicht danach gefragt hatte. Alfons’ Messer
war o.k., doch meines war stumpf und rostig und die Spitze war
abgebrochen. So zogen wir los. Den Margarethenwall hinunter, bei
Öllerking über die Straße und das Bahngleis, das damals noch bis
zum Fliegerhorst Jagel und bis nach Kropp ging, über den Bach, der
in den Busdorfer Teich fließt und die einfachen und primitiven
Stufen hinauf zum Moosberg. Und hier fanden wir tatsächlich am
Beginn eines der Knicks den Flieder. Während Alfons eifrig an einem
Ast herumschnitt, entschloss ich mich, die Sache anders anzugehen.
Ich schlug mit dem Messer, die abgebrochene Spitze voran, auf einen
der Äste. Eins, zwei, drei – doch beim vierten Hieb schon rutschte
mir das Messer ab und fuhr mir mit aller Wucht bis auf den Knochen in
den linken Daum, da wo er zur Hand übergeht. Das Blut spritze.
Instinktiv lief ich sofort los – Richtung nach Hause. Alfons
„checkte“ gar nichts und begriff erst, als ich schon 100 Meter
gelaufen war. Er wollte mir folgen, blieb aber weit zurück, denn
schnell laufen, das konnte ich schon immer. Und jetzt erst! Die
Stufen hinunter, über den Bach, das Bahngleis, die Strasse, den
Margarethewall hinauf. Da kam mir ein Spaziergänger entgegen. Ich
war nicht nur aus der Puste, sondern auch halb verblutet. Der Mann –
er war wohl so Anfang 30 Jahre alt - ergriff sofort beherzt meine
rechte Hand, dreht um und lief mit mir die 150 Meter bis zum Anfang
des Dannewerkredders, wo er sein Auto, einen VW-Käfer mit kleiner
Heckscheibe am Straßenrand abgestellt hatte. Er raste mit mir in
Richtung Husumer Baum, Melkstediek, Karpfenteich, über die
Bahnschienen und die Bahnhofstrasse hinunter. Er fuhr bestimmt 95 kmh
und Radarkontrollen gab es ja da noch nicht. Am Ende der
Bahnhofstrasse hatte Doktor Zieroth, unser Kinderarzt seine Praxis
und er schloss die Daumwunde mit zwei Klammern. Ich war gerettet und
der nette Herr fuhr mich nach Hause. Ein Engel auf meinem Lebensweg.
- Nach 55 Jahren bin ich diese Strecke noch einmal abgelaufen –
gemütlich natürlich. Die Bahngleise sind abgebaut, der Bach
plätschert immer noch. Als Kinder hatten wir in ihm immer Stichlinge
gefangen und mit nach Hause genommen, wo sie gerade mal zwei Tage im
Weckglas überlebten. Später, als wir Halbstarke waren und ich schon
im Sankt Jürgen wohnte, haben wir hier unsere ersten Biere und Korn
getrunken. Und die Treppe zum Moosberg hoch – na ja. Die war früher
uriger, natürlicher, in Sand gegrabene Stufen mit Holzbrettern
abgestützt. Jetzt ist es mehr ein Stahlgerüst mit Bänken zum
Ausruhen. Aber man sieht teilweise noch die Überreste des alten
Aufstiegs. Apropos Berg. Natürlich ist der „Moosberg“ gar kein
Berg (und der Erdbeerberg schon gar nicht).Wir Schleswiger Jungs
haben die richtigen Berge auf einer späteren Klassenfahrt der
Bruno-Lorenzen-Schule 1969 nach Oberstdorf und ins Kleine Walsertal
kennengelernt. Mit dabei waren damals Sönke Büschenfeld, Gert und
Rolf Jürgensen, Heinz Schulz und Volker Kruse. Aber das ist eine
andere Geschichte.
Storch fängt Wellensittich
In
unserer Friedrichsberger Siedlung
(Dannewerkredder/Thyraweg/Haithabuweg und -ring) in Schleswig in den
1950er und 60er Jahren gab es einen Jungen, der immer nur „Storch“
genannt wurde. Er war schon einer von den Größeren und trug damals
schon total enge Blue Jeans, während ich beispielsweise mit
schlotternden, von Mutti selbst genähten Stoffhosen rumlaufen
musste. (Das Bild ist zur Veröffentlichung nicht geeignet) Dieser
Bursche wurde deshalb so genannt, weil er immer wieder versuchte, den
reiferen Mädchen ein Kind zu machen, was ich damals natürlich
überhaupt nicht wusste und auch nie begriffen hätte, wie so was
geht und so. Hinter unserem Haus gab es einen Garten, in dem drei
Bäume standen: ein Tannenbaum, ein Kirschbaum und ein Pflaumenbaum.
Eines Tages stürmte ein ganzer Trupp von Nachbarskindern auf den Hof
unseres Häuserblocks in Richtung dieses Gartens und kreischte. Ich
begriff gar nichts. Doch dann bemerkte ich jenen grün-gelben Vogel,
der sich in diesem Moment auf der Spitze des Kirschbaumes niederließ.
Den Kindern folgte eine ältere Dame, die jammerte: „Mein Vogel,
mein Vogel. Komm Spatzi, komm Spatzi.“ Doch der Wellensittich
dachte nicht daran, vom Baum herunterzukommen, sondern er putzte sich
unerlässlich sein Gefieder. Was tun? Es gab nur eine Möglichkeit:
Jemand musste auf den Baum klettern und Spatzi fangen. Aber niemand
von uns wagte sich das. Da gab es nur einen, dem wir das zutrauten,
das war eben jener verwegener Storch. Mein älterer Bruder Andreas
lief zum Thyraweg und kam mit Storch zurück. Dieser verhandelte mit
der alten Dame und kletterte dann ohne zu zögern in den Baum hinauf.
Und tatsächlich gelang es ihm, den Vogel zu fangen. Als er mit
Spatzi in der Hand auf die Besitzerin zuging, bildeten wir
ehrfürchtig ein Spalier. Sie nahm den Vogel und gab Storch dafür
die vorher vereinbarten 50 Pfennige. Das war viel Geld. Ich weiß
noch, dass Storch sofort zu Herrn Thel, den Gastwirt am unteren Ende
des Dannewerkredders loszog, um sich dafür bei ihm eine Schachtel
Zigaretten zu kaufen. Wahrscheinlich waren es 11 Eckstein - ohne
Filter.
Mein Weg von Schleswig nach Rom
Im
Sommer 1960 fanden in Rom die Olympischen Spiele statt. Das wussten
wir durch die Nachrichten im Radio. Die meisten Familien aus unserer
Friedrichsberger Siedlung in Schleswig konnten sich damals einen
Fernseher nicht leisten. Am wenigsten wohl meine Eltern. Die Eltern
von Kurt Wagner und Alfons Lila hatten einen. Wir waren vier Kinder
im Alter zwischen zwölf und vier Jahren. Vati hatte nicht unbedingt
einen lukrativen Beruf und Kindergeld gab es damals auch noch nicht.
Aber Herr Thel hatte einen Fernseher. Er war Gastwirt in der kleinen
Geschäftszeile am Ende der Strasse, gegenüber dem Friedhof. In
dieser Geschäftszeile gab es ein Fischgeschäft (Schmid), ein
Lebensmittelgeschäft (Sauerbaum), einen Frisör (Grochla) und einen
Fleischer (NN). Auf der anderen Seite der Straßenkreuzung gab es
einen „Konsum“, in den meine Eltern aber auf keinen Fall gingen
und uns auch verboten, dies zu tun, denn das seien Kommunisten aus
der Ostzone, sagte mein Vater und. wäre nur was für SPD - Wähler .
Er und meine Mutter wählten immer CDU, denn wir waren streng
katholisch. Herr Thel erlaubte uns, bei ihm fern zu sehen. Für zwei
Stunden nahm er pro Person 20 Pfennige. Oft standen wir in einer
Gruppe von Kindern vor seiner Kneipe, bis er uns zu Lassie, Fury,
Zorro, Rin Tin Tin oder Kater Mickesch hineinließ. Und natürlich zu
den Übertragungen aus Rom von den Olympischen Spielen. Da saßen wir
nun im Nebenzimmer und sahen für 20 Pfennige (das war das
Taschengeld für eine Woche, mein älterer Bruder Andreas erhielt 50
Pfennige) den unglaublichen 100 Meter Lauf von Armin Harry in nur
10,0 Sekunden, womit er seinen eigenen Weltrekord einstellte. Bevor
wir in das Fernsehzimmer gelangten, mussten wir durch den Schankraum.
Noch heute sehe ich die Männer am Tresen sitzen und Herrn Thel den
Schaum von den vollen Biergläsern mit der weißen Kelle wischen. Ich
sehe auch die Leute, die in den Metallkasten an der Wand in den
Schlitz mit ihrer Nummer ein Geldstück zum Sparen einwarfen. Das war
mir irgendwie sehr suspekt, denn Geld zum Sparen hatten wir in
unserer Familie nicht übrig. Im Gegenteil: Einmal pro Woche bekamen
wir über die Katholische Kirche sogenannte Carepakete aus den USA.
Es waren übergroße Konservendosen mit Käse und Milchpulver. Noch
heute – nach 55 Jahren – spüre ich dieses an meinem Gaumen
klebend. - Unseren ersten Fernseher bekamen wir erst 1970 zur
Fussballweltmeisterschaft in Mexiko. Aber da wohnten wir schon im
Stadtteil Sankt Jürgen.
Häuptling – Wunsch und
Wirklichkeit
Im Sommer 1962 zogen wir vom Friedrichsberg in den
Sankt Jürgen. Nach einem Jahr Gallbergschule, wechselt ich auf die
Realschule am Ende der recht langen Michaelisallee, direkt neben dem
Stadion. Vom Seekamp bis dahin brauchte ich 35 Minuten strammen
Schrittes. Ich hasste diese Schulzeit – zumindest bis zur 9.
Klasse, wo ich wegen der Kurzschuljahre mit acht weiteren Kameraden
sitzenblieb und auf Sönke Büschenfeld und Volker Kruse traf, mit
dem ich dann eine Band gründete. Auf dem Rückweg, meist nach der 6.
Stunde, ging es mir wesentlich besser, denn da war ich Winnetou, so
wie ich ihn ein Jahr zuvor in dem Film „Der Schatz im Silbersee“
mit Pierre Brice im „Metro“ (gibt es heute nicht mehr) gesehen
hatte. Statt zu Fuß zu trotten, ritt ich nun auf Iltschi und mein
Kommisshaarschnitt hatte sich in eine lange, im Wind wehende schwarze
Mähne verwandelt. Die Aktentasche war meine „Silberbüchse“, aus
der ich alle zehn Meter hörbar (ich machte die Schussgeräusche
ziemlich echt mit dem Mund nach) einen Schuss auf Santer, oder auf
die feindlichen Komantschen abgab. Und natürlich war ich wie
Winnetou gekleidet. Nach dem langen Weg durch die Allee, über die
Bismarckstrasse an der damals noch stehenden Michaeliskirche und dem
Polierteich vorbei, die Treppe hoch zum PLK und durch den halben
Sankt Jürgen, gelangte ich an die große Wiese, die wir nur das
„Feld“ nannten. Die Sankt-Jürgen-Schule war gerade fertig
gestellt worden und das heutige Sportgelände lag völlig brach. Die
beiden Hochhäusern, die damals da hochgezogen wurden, waren noch
nicht fertig gebaut. Für mich begann nun das eigentliche Spektakel.
Von weitem schon konnte ich das Elternhaus sehen, neben dem später
der Kindergarten gebaut wurde, und es war natürlich das Pueblo der
Mescaleros-Apatschen, die mich schon von weitem laut begrüßten:
„Winnetou kommt, Winnetou kommt.“ Dabei hörte ich ganz klar und
deutlich die Musik von Martin Bötttcher, die den Film „Der Schatz
im Silbersee“ untermalt hatte. Thomas, ein paar weitere Jungs und
ich hatten zu der Zeit die sogenannte „Weiße Bande“ gegründet,
die vor allem deshalb gefürchtet war, weil wir einen Jungen, der
nicht mit uns spielen durfte, eines Tages abfingen und ihn in einem
Knick unten am Johannistalerweg folterten. Wir banden ihm die Füße
an einer Wurzel fest, legten ihn mit dem Rücken über einen Ast und
befestigten seine Arme auf der anderen Seite mit einem Tau ebenso am
Boden. Das war schon schlimm genug. Doch wir hatten an dem Tau einen
Knebel, so wie es auch Karl May beschreibt, befestigt und drehten
diesen, damit sich das Seil und der Körper unseres Opfers strafften.
Abends kam die Mutter mit dem Gepeinigten zu uns nach Hause und ein
Arschvoll von meinem Vater war fällig. Eines Tages beschlossen wir,
dass wir einen Häuptling bräuchten. Aufgrund meiner
Winnetouphantasien war ich dafür natürlich prädestiniert. Aber
komischerweise wollten die anderen nicht so recht mich, sondern
Thomas als Chef der Bande. Das ließ ich mir nicht gefallen und ich
hielt eine glühende Wahlrede, in der ich alle meine Vorzüge
anpries. Es half nichts. Bei der anschließenden Wahl erhielt Thomas
eine Stimme mehr als ich und statt Winnetou wurde nun Old Shatterhand
der Anführer unserer Gang. Ich war zwar eingeschnappt, doch war ich
getröstet, als mir mein älterer Bruder sagte, dass ein Häuptling
immer nur so gut ist, wie es seine Indianer sind . . . :)
Wenn ich den Schleswiger Bahnhof sehe
…
Als ich im Juli 2015 das erste Mal nach 35 Jahren aus Richtung
Süden kommend in Schleswig aus dem Zug stieg, wurde ich
unwillkürlich in meine Kindheit zurückversetzt, denn das Vordach
und der sogenannte Gaubengang sind genau in dem Zustand, wie in den
1950er Jahren. Mit der Ausnahme, dass damals hier ein kleines
Schalterhäuschen stand, an dem man für 20 Pfennige eine
Bahnsteigkarte kaufen musste. Das Holz war damals schon morsch und
die gelbliche Farbe blätterte damals schon ab. Kommt man allerdings
dann in die eigentliche Bahnhofshalle, erfasst einen irgendwie das
nackte Grauen. Der Schleswiger Bahnhof wurde zwei Tage vor Sylvester
1869 eröffnet und steht unter Denkmalschutz. Aber das ist meiner
Meinung nach kein Grund, alles so verkommen zu lassen. Ich brauche
nicht zu schildern was ich meine, denn die LeserInnen kennen den
derzeitigen Zustand besser als ich. Deshalb will ich 55 Jahre
zurückgehen und schildern, wie es in meiner frühesten Kindheit war.
Damals lebte ich im Dannewerkredder und Wolfgang Lach, Bernd
Milevski, Jockel Clasen und ich zogen oft hinunter zum Bahnhof, um
dort zu spielen und Züge zu gucken. Am unteren Karpfenteich
überquerten wir die Bahngeleise und am Bahnhof angekommen, tobten
wir auf den Handkarren, die mit Postsäcken beladen waren. Und
natürlich kamen von Dampflok getriebene Züge aus Richtung Flensburg
oder Rendsburg, die am Schleswiger Bahnhof Wasser nachtankten. Im
Bahnhof selbst gab es zwei Kioske. Einen links vom Eingang für
Süßigkeiten und Fresskram und einen für Zeitungen und
Zeitschriften dort, wo heute der Ticketautomat ist. Rechts daneben
war die Gepäckabgabe und –Annahmestelle, die heute komplett
zugemauert ist. Ich bekam 20 Pfennige Taschengeld in der Woche. Für
fünf Pfennige kaufte ich mir im Bahnhof immer einen Salino, an dem
ich mindestens ½ Stunde herumlutschte, oder eine kleine Tüte
Salmiakpastillen (ebenfalls fünf Pfennig), mit denen ich mir einen
Stern auf die Hand klebte und ihn nach und nach mit der Zunge
auflöste. An all das muss ich wie gesagt unwillkürlich denken, wenn
ich auf Gleis 1 Schleswiger Boden betrete. Ich habe gelesen, dass bis
Ende 2015 die Renovierungsarbeiten im Bahnhof abgeschlossen sein
sollten. Ich war vom 28.12. 2015 bis 4.1.2016 in Schleswig: nix von
wegen neue Lokation und so weiter. Übrigens habe ich den alten
Philips-Lautsprecher (goldene Lautsprechersäule) in der oberen
linken Ecke des Wartesaales entdeckt. Der hing da 1959 schon und
scheint auch unter Denkmalschutz zu stehen. :)
Fragt der Friseur den Kunden: "Möchten
Sie die Stirnlocke behalten?"
"Ja, auf jeden Fall!"
antwortet dieser.
Daraufhin der Frisör: "Gut" - schnipp
- "dann pack ich sie Ihnen ein."
SSG 13
Schleswig
und meine Frisöre
Mein erster Frisör war meine Mutter. Immer
dann, wenn die ersten Haarspitzen an mein Ohr stießen, musste ich
mich auf den Küchenstuhl setzen, bekam einen Umhang um und Mutti
fing an, mit der Handschneidemaschine die Haare so zu kürzen, dass
es für die nächsten sechs Monate reichte. Ich sah grauenhaft damit
aus. Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, durfte ich das erste Mal
zu einem richtigen Frisör. Es war Herr Grochla, der seinen Laden
nicht weit weg an der Ecke Dannewerkredder/Husumerbaum hatte. Neben
seinem Geschäft war die Kneipe von Herrn Thel, bei dem wir immer für
20 Pfennige Lassy, Kater Mickesch, Zorro und Fury sehen durften. Und
auch Sauerbaums hatten da ihr kleines Lebensmittelgeschäft. Der
„Herrenschnitt“ bei Herrn Grochla kostete 1,10 Mark und es roch
in seinem Laden immer gut nach irgendwelchen Parfüms und so.
Allerdings fragte und redete er fast ununterbrochen, wenn ich dort
bei ihm auf dem hochmodernen Stuhl saß, den man drehen und hoch- und
herunterbewegen konnte. Deshalb ging ich dann manchmal lieber zu
Herrn Maas, der seinen Salon direkt neben der Bugenhagenschule hatte.
Das war zwar wesentlich weiter, aber bei ihm kostete der
„Fassonschnitt“ nur 70 Pfennige, was meiner Mutter auch recht
war. Als wir 1962 in den Sankt Jürgen umzogen, durfte nur noch meine
Mutter mir die Haare schneiden, allerdings mit ganz klaren
Anweisungen von mir. Denn die Haare waren zu einem Statussymbol
geworden. Mein drei Jahre älterer Bruder hatte sie so lang, wie die
Beatles. Die damalige Schleswiger Band „The Gourmands“ um Hermann
Greve, der viel zu früh verstorben ist, wollte meinen Bruder als
„Haarschüttler“ engagieren, aber daraus wurde dann doch nichts.
Hier bei den langen Haaren allerdings setzte mir Mutti mir eine klare
Grenze, bis ich mich schließlich 1967 durchsetzen konnte und die
Haare mehr oder weniger lang wachsen ließ, bis ich 1970 eine
Ausbildung beim Finanzamt anfing. Ein paar Tage vor Ausbildungsbeginn
(1.9.1970) ging ich zum Frisör, der in der damaligen Ladenzeile bei
den beiden Hochhäusern Am Brautsee seinen Salon hatte. Eine junge
Dame schnitt mir die Haare, und als sie fertig war, sagte ich ihr:
„Ich werde jetzt alle sechs Wochen zu Ihnen kommen, denn ich
arbeitet jetzt beim Finanzamt.“ Tat ich aber nicht, im Gegenteil.
Bis September 1979, wo ich geheiratet habe und inzwischen in
Flensburg lebte, sah ich keinen Frisörsalon von innen. Bis dahin
ließ ich meine Haare und inzwischen auch Bart ungezügelt wachsen –
bis auf eine kleine Ausnahme. 1972 wollte mir meine Freundin (wir
waren schon drei Jahre zusammen) unbedingt ein klein wenig die Haare
kürzen. Da ich sie liebte, ließ ich es zu. Sie legte also los und
schnitt mir die Haare ziemlich krumm und schief und das mit voller
Absicht. Drei Tage später nämlich, machte sie mit mir „Schluss“,
was sie aber vorher schon geplant hatte (wie sie mir später einmal
beichtete). Und da sie trotz der Beendigung unserer Freundschaft in
Bezug auf mich hochgradig eifersüchtig blieb, wollte sie nicht, dass
sich ein anderes Mädchen in mich verguckt. Das ist ihr auch
gelungen, bis 1974 meine Haarpracht wieder in Ordnung war. Aber das
ist eine andere Geschichte.
SSG 11
D E Z E M B E R
Obwohl
ich als Kind und heranwachsender Jugendlicher den Sommer überaus
liebte, war doch der Dezember mein Lieblingsmonat. In den 1960er
Jahren gab es in der neu gründeten Fußballbundesliga einen Torwart
von 1860 München, den es nie im eigenen Strafraum hielt, sondern der
gewagte und gekonnte Ausflüge bis in die Hälfte des Gegners machte.
Er spielte aber nicht nur Fußball, sondern sang auch das Lied „Bin
i Radi, bin i König … und das Spielfeld ist mein Königreich.“
(wurde 400.000 Mal verkauft). Wenn ich am letzten Schultag vor den
großen Sommerferien auf dem Heimweg durch die Michaelisallee war
sang ich (und das stimmt) "Bin i Stefan, bin i König … und
die Ferien sind mein Königreich.“ Übrigens rätselte ich
jahrelang über die Richtigkeit der Rechtschreibung und Aussprache
der „ALLEEHALLE“, einer Kneipe am Ende der Michaelisallee an der
Bismarckstrasse. Es waren doch irgendwie merkwürdig viele „L“s
und „E“s in diesem Wort und ich bekam das nicht ganz auf die
Reihe. Auch wenn ich den Sommer liebte, der Dezember war die schönste
Zeit für mich. Es fing an mit dem 1.Advent und den ersten Lebkuchen
(und nicht schon Ende August). Dann kam der 6., der Nikolaustag, wo
wir vier Geschwister immer einen „bunten“ Teller mit sogar einem
ganzen Marzipanbrot bekamen. Schon drei Tage später hatte ich
Geburtstag und bekam immer Sachen geschenkt, über die ich mich
riesig freute. Und dann natürlich Weihnachten mit der unglaublichen
Atmosphäre am Heiligen Abend, wo die Spannung bis 16 Uhr
unerträglich wurde. Das war aber nicht alles. Am 26. Dezember 1951
wurde ich in der roten Kirche im Lollfuss auf den Namen „Stefan“
getauft (wörtlich aus dem Griechischen = der Gekrönte). Ein damals
recht seltener Name in Deutschland. Nun gilt der 26.12. nicht nur als
2. Weihnachtsfeiertag, sondern in der Katholischen Kirche auch als
„Stephanustag“. Folglich hatte ich zwei Tage nach dem Heiligen
Abend immer meinen Namenstag und bekam noch einmal ein kleines
Geschenk und ich wurde gefeiert. Schon bald vermutete ich, dass
dieses Zusatzgeschenk ein solches nicht war, sondern die Eltern es
mir bei der Bescherung abgezogen hatten. Aber das machte mir nichts,
denn ich habe meinen Namen immer geliebt, denn Stephanus war ein
mutiger Mann gewesen … doch auch das ist noch nicht alles, was den
Dezember anbetrifft. Als ich meinen 14. Geburtstag feierte und mein
Vater uns in der Geburtstagsrunde (es waren fünf Freunde gekommen)
Zauberstücke vorführte, klingelte das Telefon (ich weiß noch heute
unsere damalige Nummer: 04621 – 25222) und nicht ich, sondern mein
Vater ging aus gutem Grund ran. Er sagte so Worte wie „danke“,
„wunderbar“, „wie schön“ und noch mal „danke“. Wir
Kinder waren still geworden. Mein Vater drehte sich zu uns um und
sagte: „Gerade hat meine Frau ein Mädchen zur Welt gebracht.“
Das muss man sich auch mal vorstellen – an meinem 14. Geburtstag!
Punktgenau! Und nun waren wir fünf Geschwister und ich konnte und
kann bis heute mit meiner jüngsten Schwester am selben Tag
Geburtstag feiern. Wir Geschwister leben heute übrigens in der
ganzen Republik verstreut: Busdorf – Hamburg – Göttingen – bei
Freiburg – Ravensburg. Aber geboren und aufgewachsen sind wir alle
in Schleswig.
SSG 10
SURREAL und REAL
Es
war schon eine irgendwie surreale Situation. Im Jahre 1988 hatten
meine Frau und ich mit den beiden kleinen Kindern (sieben und drei
Jahre alt) meine Mutter in Schleswig im Seekamp besucht. Zu der Zeit
hatte ich mein Theologiestudium schon längst abgeschlossen und war
nun Pastor in Sonthofen, gleich neben Oberstdorf, unterhalb von
Grünten (1760 m) und Nebelhorn (2220 m) im tiefsten Oberallgäu. Da
ging ich nun mit dem Hund meiner Mutter in Richtung Brautsee. Es war
spät am Abend. Es muss ein Südwestwind geherrscht haben, denn von
den Königswiesen her hörte ich Musik und eine Stimme singen. Es war
nicht irgendeine Musik und schon gar nicht irgendein Sänger. Ich
hatte es einen Tag zuvor in den „Schleswiger Nachrichten“
gelesen. Es war die verrückte Band „Torfrock“ mit ihrem
legendären Sänger, Klaus Büchner. Er hatte geschafft, wovon wir
alle 14 Jahre vorher geträumt hatten. Wir, das waren die Mitglieder
der beiden damaligen Schleswiger Rockgruppen „September“ und
„Menetekel“, die später zu der Letzteren fusionierten. 1974 war
ich bei Menetekel ausgestiegen und zu Willis eigenwilliger Band als
Drummer gewechselt. Wir übten immer bei Rolf in Lürschau. Wir
suchten noch einen guten Sänger. Und eines Tages stieß dieser
blonde Wuschelkopf, der ziemlich irre drauf war, zu uns. Er hieß
Klaus und konnte wirklich gut singen. Aber nicht nur das. Er
überraschte uns mit seiner Altflöte und deutschen Texten, die das
Leben realistisch beschrieben. Das war ne geile Zeit. Dann 1975 sagte
er uns eines Tages, dass er nach Hamburg gehen würde, um dort
musikalisch was auf die Beine zu stellen. Als wir anderen abends im
„Störtebeker“ saßen, heulte Willi deswegen. Nun waren viele
Jahre vergangen und von der Schlei hörte ich: „Unser Häuptling
heißt ‚Rote Locke’.“ Wie gesagt: surreal. Ich war fromm und
Prediger mit Bibel geworden und „Klütten“, wie wir Klaus Büchner
immer nannten, war nun genau das Gegenteil (so sah ich das damals
jedenfalls). Und das war ja noch nicht alles. Es ging ja mit „Klaus
& Klaus“ und den „Wernerfilmen“ noch weiter. Seit dem sind
nun genau 27 Jahre vergangen. Ich bin vom Pastor zum Sozialarbeiter
geworden und inzwischen bin ich in Rente und ganz so fromm bin ich
auch nicht mehr. Jedenfalls kam ich Anfang Juni 2015 auf die Idee und
es war auch mein tiefer Wunsch, „back to the roods“ zu gelangen –
auch musikalisch. Bevor ich hier darüber lange berichte, lasse ich
das lieber Alf Clasen von den „Schleswiger Nachrichten“ tun.
Siehe unten. Vom 28.12. bis 4.1. bin ich wieder in Schleswig und wir
werden mit „Menetekel“ für unser geplantes Comeback proben. –
Euch allen noch schöne Festtage!!
Eine unglaubliche und doch wahre
Schleswiger Geschichte.
Immer wenn ich nach Schleswig komme und
mit dem Taxi vom Bahnhof in meine Pension fahre, frage ich die
Taxifahrer, ob sie sich an die Rockband MENETEKEL erinnern. Mene-was?
Nie gehört. Mene Theke, die steht doch bei mir im Keller.
Frustrierend. Bei einem meiner Besuche in diesem Jahr entschloss ich
mich, in den Friedrichsberg zu gehen, um an dem Haus zu klingeln, in
dem ich in den Jahren 1951 - 62 aufgewachsen war. Nach einer Weile
öffnete sich die Tür und ich erzählte der netten Dame, wieso und
weshalb ich hier stehe. Endlich nach einer Weile bat sie mich auch
herein. Am Tisch saß ein Riese von Mann (ich bin nur 1,67 klein).
Auf seinem T-Shirt stand "Motörhead". Aha, ein Musiker,
oder so. Ich erzählte meine Geschichte weiter, dass ich hier in
dieser Wohnung mit meinen Eltern und Geschwistern vor 60 Jahren
gelebt hatte. Dann fragte ich den Hausherrn: Kennen Sie die
Schleswiger Rockband MENETEKEL? Ich war natürlich wieder auf so eine
frustrierende Taxifahrerantwort gefasst. Doch zu meinem Erstaunen
sagte mein Gegenüber. "Na klar kenne ich MENETEKEL. Ich bin der
Bassist dieser Band, also der Folgeband von MENETEKEL, die jetzt
'Coast to Coast' heißt." Als ich dann erzählte, dass ich 1969
mit Volker Kruse, Thomas Sommer, Charlie Rutz und später Willi Lück
MENETEKEL gegründet hatte und nun nach Schleswig zurückkomme, um
diese "legendäre" Band in der Besetzung der 1970er Jahre
wieder aufzubauen, fiel Wolfgang "Motörhead" dann doch
nichts mehr ein. "Du bist Steven?! Und du weißt ja, dass Willi
Lück immer noch unser Gitarrist ist. Er hat von Dir und deinem
Vorhaben erzählt. Wir haben uns vor zwei Jahren umbenannt. Ich
glaub, ich spinne." Und ich erst! Da komme ich nach 53 Jahren in
meine "Kinderstube" zurück und treffe auf jemanden, der
heute in "meiner" Band spielt. Wow. Sofort standen zwei
"Flens" auf dem Tisch und wir gingen zum "Du"
über. Weil das alles so unfassbar war, musste Wolfgang Schreibers
Ehefrau ein Foto von uns machen, als Beweis. Er 2,01m und ich einen
ganzen Kopf kleiner. Unglaublich, aber wahr. Für Herbst 2016 ist
unser Comeback geplant. Wer mich kennen lernen will, komme am 1.1.ab
18 Uhr in den "Senatorkrog" (Kaminzimmer). Da treffen sich
einige aus der alten Clique und Band ...
SSG 08
Was passiert, wenn man
tut, was ein Lehrer sagt.
Ich hasste nichts mehr, als den
Sportunterricht im Winterhalbjahr. Da war Geräteturnen dran: Reck,
Barren, Kasten, Sprossenwand bis unter die Decke, Bodenturnen und
solche Sachen. Das konnte ich alles nicht und davor hatte ich auch
Angst. Das war im Sommer ganz anders. Ich war im Laufen schnell und
ausdauernd (bis ich mit 16 Jahren meinem älteren Bruder die Pfeife
klaute und heimlich rauchte, dann umstieg auf Peer 100, dann HB, dann
Rothändle …). In der 5. Klasse warf ich den Schlagball bereits 54
Meter und sprang 4,30 Meter weit. Aber der Sport in der Halle der
Bruno-Lorenzen-Schule, gegenüber dem Finanzamt, war für mich der
Horror. Besonders schlimm war es am Reck. Der Aufschwung war OK. Die
Stange lag knapp unterhalb des Bauchnabels. Nun aber die Drehung um
360 Grad. Die schaffte ich nur zur Hälfte. Da hing ich nun mit dem
Kopf nach unten und kam nicht weiter. Mir schoss das Blut in den Kopf
und die Reckstange war mir bis zu den Hoden gerutscht. Gerade wollte
ich loslassen, als der Sportlehrer (er hieß Herr Thomsen und wohnte
in einem der Hochhäuser im Sankt Jürgen) mir einen Schubs gab und
ich gerettet war. So ging es jedes Mal. Doch einmal war es anders.
Inzwischen waren Mädchen und Jungen beim Sport getrennt, denn die
Mädchen waren keine Mädchen mehr. So versammelte Herr Thomsen uns
Jungs an diesem Tag um sich herum und erklärte uns, wie man boxt.
Cassius Clay alias Muhammed Ali war damals im Kommen. Er hatte zwei
Paar Boxhandschuhe dabei und sprach von Beinarbeit, Verteidigung,
Täuschen und Zuschlagen und zeigte, wie es geht. Ich fand das gut,
denn mein Vater war in den 1930er Jahren ein sehr guter Amateurboxer
in Frankfurt an der Oder gewesen. Er hatte mir einige Fotos von sich
im Boxring gezeigt. - Ich hörte genau zu und schaute auch genau hin,
wenn uns Herr Thomsen die Tricks zeigte. Dann ging es an die Praxis.
Immer zwei gegeneinander. Das war recht harmlos und ging auch gut,
bis ich dran war. „Wer kämpft gegen Stefan?“ fragte der
Sportlehrer. Ich war der Allerkleinste in der Klasse. Manfred, der
zehn Zentimeter größer und auch breiter war als ich, meldete sich.
Da stand er also vor mir und versuchte, mich mit seinen Schlägen zu
treffen. Ich aber, klein und flink, wich den Angriffen geschickt aus.
Dann sah ich einen gewaltigen Schlag kommen. Ich drehte mich etwas
zur Seite, hob die Schulter ans Kinn, so wie es Herr Thomsen
vorgemacht hatte und der Handschuh des Gegners klatschte ohne jede
Wirkung gegen meinen Körperschutz. Manfred war irgendwie frustriert
und für einen Moment unaufmerksam. Ich täuschte mit der Linken
einen Schlag auf seine Brust an. Manni ließ seine Arme und Hände
etwas sinken und das war meine Chance. Mit der Rechten schlug ich
voll zu, und zwar dahin, wo Old Shatterhand, wie ich bei Karl May
gelesen hatte, seine Faust krachen ließ: An die linke Schläfe.
Manfred schaute zuerst ungläubig, verdrehte dann die Augen und sank
mit irgendwie bleichem Gesicht zu Boden Die Klasse johlte. Doch Herr
Thomsen stürzte herbei, fing Manfred auf und schrie mich an. „Bist
du denn verrückt geworden!“ Dabei hatte ich doch nur umgesetzt,
was er uns als Lehrer zuvor gezeigt hatte. Die Klasse wurde ganz
still. Anstatt nun Manfred anzuzählen, brach Herr Thomsen nicht nur
diesen Kampf, sondern das ganze Boxprogramm für alle Zeiten ab. Nun
war wieder Reck mit Eiereinklemmen dran. Jedenfalls im Winter und für
mich. Ich hatte selbst Schuld. Auch wenn Herr Thomsen mich
angeschrien hatte, so wusste ich doch, dass er mich für meinen
Boxeinsatz anerkennend lobte. Ich sah es in seinen Augen. Leider
haben mich meine späteren Kumpels verführt, noch mehr zu rauchen
und auch zu saufen. So brauchte ich für die 100 Meter 20,6 Sekunden,
die 1000 Meter schaffte ich erst gar nicht und im Fußballtor wurde
ich vom schwarzen Panther zum fliegenden Schwein (von Jürgen von der
Lippe geklaut) und Jahre später schlug mir mein damals zehnjähriger
jüngster Sohn beim Boxen dermaßen eine auf die Zwölf, dass ich
taumelte und die Zimmerpalme mit mir zu Boden riss. Das Boxen liegt
uns eben in den Genen.
Statt Boxer wurde ich Finanzbeamter,
'Rockstar', Pastor und Sozialbetreuer für Flüchtlinge - auch nicht
schlecht, oder?
SSG 06
Die Gitarre meiner
Schwester und die Folgen für mich
An Weihnachten 1966 bekam meine
Schwester Martina eine Gitarre zu Weihnachten geschenkt. Diese war
von „Quelle“ und hatte 49 Mark gekostet. Da, wo nach der
Bismarckstrasse die Michaelisallee beginnt, wohnte die
Gitarrenlehrerin und Martina ging jede Woche zum Unterricht hin. Sie
spielte uns dann zu Hause immer was vor. Ich hatte für so was keinen
Sinn, sondern spielte draußen lieber mit meinem Freund Thomas
Winnetou und Old Shatterhand, wobei ich immer darauf bestand, der
Indianer Häuptling zu sein. Doch nach einem halben Jahr hatte meine
Schwester keine Lust mehr auf Gitarre und an einem grauen und
verregneten Herbstnachmittag schnappte ich mir das Instrument, das an
der Wand im Wohnzimmer hing, und schrammelte darauf herum. Irgendwann
spielte und sang ich mein erstes Friedenslied, gezupft auf den oberen
beiden Basssaiten. Es bestand aus vier Tönen und ich war damals 13
Jahre alt. Ich suchte mir in verschiedenen Jugendzeitschriften
Anleitungen zum Gitarre spielen und Akkorde heraus und wurde immer
besser. Bald schon konnte ich „Wir lagen vor Madagaskar“ und so
was spielen und Ende der 1960er Jahre spielte ich schon „Marmor,
Stein und Eisen bricht“ von Drafi Deutscher und „Yummy, Yummy“
von Ohio Express (Bubble Gum Music). Auch Thomas, mein bester Freund,
hatte Gitarre gelernt. Und als dann eines Tages mein Schulkamerad
Volker mit seiner roten E-Gitarre in den Musikunterricht kam, war es
klar: Wir gründen eine Band. Und Volker hatte auch schon einen
Namen: „Trepple Trellis Tristle“ (dreifaches Gittergestell).
Daraus wurde ein Jahr später „Menetekel“ – auch von Volker so
benannt. Jedenfalls waren wir verrückt. Wir wollten tatsächlich, so
wie damals Hermann Greve (der viel zu früh gestorben ist) mit seiner
Band „The Gourmands“ öffentlich auftreten. Also fingen wir an zu
proben. Das taten wir im katholischen Pfarrhaus im Lollfuss 61. Zwar
hatten wir Gitarren, auch Elektrische, aber keine Verstärker. Also
fragten wir den alten Hausmeister aus dem Dachgeschoss, ob er uns mal
für zwei Stunden sein Radio leihen würde. Er tat es bereitwillig.
Und tatsächlich ließen sich zwei der Gitarren an den großen, alten
Kasten anschließen (Bananenstecker). Es funktionierte und wir übten
„Days“ von den Kinks. Das nächste Stück sollte „Do it again“
von den Beach Boys sein. Doch beim dritten Anschlag des Anfangakkords
gaben die leuchtenden Röhren im Radio ihren Geist auf und es war
still. Das Radio war hin und wir schlichen mit dem kaputten Teil hoch
zum Hausmeister. Da wir aber bereits kommende Woche öffentlich
auftreten wollten, ließ sich der alte Herr breitschlagen, uns auch
noch sein zweites, moderneres Radio zu geben. Es hielt zwanzig
Minuten, dann war auch dieses während „On the road again“ von
Canned Head zur Totalreparatur fällig geworden. Jedenfalls standen
wir eine Woche später vor etwa 50 jungen Leuten, um unser erstes
Konzert zugeben. Es war die ultimative Katastrophe. Dem Leser ist
sicher aufgefallen, dass nie von einem Schlagzeuger die Rede war.
Genau der fehlte uns. Wolfram, der zu unserer Clique gehörte, hatte
behauptet, schon mal in einer Band Schlagzeug gespielt zu haben. Wir
glaubten ihm, ohne dass er mit uns proben oder uns vorspielen musste.
Für 20 Mark liehen wir uns also ein so richtig großes Schlagzeug,
hinter dem nun Wolfram saß. Das erste Lied, das wir spielen wollten,
war dieses „Yummy, Yummy“ in E-Dur. Ich schlug die ersten Töne
an und die tiefe E-Saite riss mir weg. Ich spielte weiter und die
A-Saite war hinüber. Wolfram, der behauptet hatte, er wäre am
Drum-Set so eine Art Profi, schlug mit den Stöcken auf den Trommeln
herum, wie ein Dreijähriger auf Kochtöpfen und spielte dabei auch
noch ungewollte Synkopen. Die Schläge auf das Crashbecken kamen
völlig unkontrolliert und die Fußpauke hämmerte ununterbrochen in
Achtelschlägen, was uns völlig aus der Bahn warf. Wie wir dieses
„Konzert“ (wörtlich eigentlich = Übereinstimmung) überstanden
haben, weiß ich nicht mehr, das habe ich wahrscheinlich vollkommen
verdrängt. Jedenfalls schmissen wir Wolfram sofort noch am gleichen
Tag aus der Band und ich beschloss, da wir mit Thomas und Volker
schon zwei Gitarristen hatten, mich als Schlagzeuger umzuschulen. Und
so kam es auch.
SSG 05
13 Pferde und ein halbes
(und ich) machen Schleswig (Holstein) unsicher
1971 machte ich
meinen Führerschein für 575 Mark bei einer Fahrschule in der
Schubystrasse, Ecke Feldstrasse, schräg gegenüber vom „Scotch
Club“. Eine Kollegin vom Finanzamt verkaufte mir ihren alten Fiat
500. Der hatte ein schwarzes Faltschiebedach, musste mit Zwischengas
gefahren werden, 479 cm³ Hubraum, hatte einen Anlasser (nix mit
Zündschlüssel) und immerhin 13,5 PS. Harro, der mit mir in der
Ausbildung war und ich, fuhren am selben Tag zur Kreisbehörde, um
das Auto auf meinen Namen umzumelden. Wir fuhren also die Flensburger
Strasse hoch und mussten dann links zur Zulassungsstelle abbiegen.
Von oben her kam uns ein Lastwagen entgegen und so tat ich, was ich
bei Herrn Materne gelernt hatte: Ich lenkte den Wagen zur Mitte der
Strasse und blieb stehen, um den Gegenverkehr passieren zu lassen.
Der LKW kam bedrohlich näher und Harro meinte, ich würde viel zu
sehr in der Mitte stehen (also schon halb auf der linken Fahrbahn)
und bekam die Panik. Der Lastwagen war nur noch acht Meter entfernt.
Da riss Harro seine Beifahrertür auf und wollte aus dem Fiat
springen. „Nicht mit mir!“ schrie er. In dem Moment rauschte der
Laster an meiner Scheibe vorbei und der kleine Außenspiegel zitterte
beängstigend. Harro hatte seinen rechten Fuß schon auf der Strasse
gehabt, zog ihn nun zurück und meinte: „Ne, mit Dir fahr ich nicht
mehr.“ - Dafür aber Thomas, mein bester Freund (damals und heute
wieder Sänger der legendären Schleswiger Rockgruppe Menetekel). Das
war ein paar Tage später. Wir fuhren auf der B 76 an Fahrdorf vorbei
Richtung Eckernförde. Unser Ziel war die alte Ziegelei bei
Borgwedel, direkt an der Schlei. Vor zwölf Jahren hatten wir hier
mal mit PeMo (Peter Moldenhauer) von der katholischen Jugendgruppe
Schleswig gezeltet und wollten uns nun, wo wir Männer waren, noch
mal alles anschauen, ob es die Ziegelei noch gibt und so. Wir düsten
mit 85 kmh (Höchstgeschwindigkeit) also Richtung Süden, nachdem wir
an Fahrdorf vorbei waren. Immer hielten wir Ausschau nach dem Schild
„Borgwedel“. Plötzlich schrie Thomas: „Hier, hier musst du
abbiegen!“ Tatsächlich, da ging’s runter nach Borgwedel. Ich
riss das Steuer nach links herum. Der Wagen kam ins Schleudern und
natürlich schaffte ich die Kurve nicht ganz. Das Hinterteil krachte
in den gegenüberliegenden Weidezaun und der Fiat blieb nach wenigen
Metern stehen. Wir sprangen aus dem Wagen und mussten feststellen,
dass der rechte hintere Kotflügel ziemlich eingedellt war. Der
demolierte und zersplitterte Zaun mit dem gerissenen Stacheldraht war
uns egal. Und ich hatte das Auto erst ein paar Tage! Ich habe diese
ziemliche Beule nie reparieren lassen, sondern mit grauer Lackfarbe
drüber geschrieben: „Na und!“ - Ein paar Monate später fuhr ich
diese Strecke einmal wöchentlich, dann aber bis Malente, wo der
Abschlusslehrgang für werdende Finanzbeamte stattfand. Ich nahm dann
immer Gert mit, mein treuer Gefährte seit der 5. Klasse der
Bruno-Lorenzen-Schule. Nun machten wir zusammen Beamtenkarriere.
(Übrigens habe ich Gert im Sommer d.J. nach genau 39 Jahren das
erste Mal in Schleswig, Senatorkrog, wieder getroffen. Er arbeitet
immer noch auf dem Finanzamt). In Malente waren wir oft auch in den
Kneipen unterwegs. Als ich eines abends, nach ein paar Colas :)
(alkoholfrei war noch nicht) meinen abgestellten Fiat suchte, war er
weg. Gestohlen! So ein Mist! Doch meine Kumpels konnten sich vor
Lachen nicht halten, während ich nach der Polizei schrie. Dann
entdeckte ich meinen geliebten kleinen Wagen 20 Meter weiter. Wie war
er dahin gekommen? Merkwürdig. „Nun ja,“ meinte einer der Jungs.
"Wir haben ihn zu viert kurzerhand dahingetragen, als du mal auf
dem WC warst". 470 Kilogramm mit vier Mann: Ganz schöne
Leistung. Ein halbes Jahr später habe ich den Fiat gegen einen roten
Opel Kadett Coupé eingetauscht, mit dem Thomas und ich zu den
Olympischen Spielen nach München und dann an den Achensee
(Österreich) fuhren. Also, wir waren drei Tage v o r Eröffnung der
Spiele dort und haben von dem Terroranschlag auf die Israelis in der
österreichischen Ausgabe der BILD erfahren. Schlimme Sache!
Meine
erste Liebe: Fiat 500, Baujahr 1959, 479 cm³, 13,5 PS,
Höchstgeschwindigkeit: 85 kmh, Zweizylinder-Heckmotor,
unsynchronisiertes Getriebe (Zwischengas beim Schalten), Gewicht 470
KG, Kaufpreis: 400 Mark. Auf dem Finanzamt verdiente ich bereits im
1. Lehrjahr 419 Mark. Das war unglaublich viel damals.
SSG 04
Vom Panzer und verkappten
Wehrdienstverweigerern, oder: Alpha, Beta, Charlie …
Als die
Herren Chrutschow und Kennedy gerade noch den 3. Weltkrieg verhindern
konnten (Kubakrise 1962), beschlossen die Jungs vom Kieler
Innenministerim, unter das „Martin-Luther-Krankenhaus“ Schleswig
in der Moltkestrasse, einen Atombunker als Notkrankenhaus zu bauen.
Von dem erfuhr ich erst 1972. Und das kam so. Ich war, gemeinsam mit
Freund Gert, auf der Finanzschule zum Abschlusslehrgang in Malente.
Das war im Winter 1971/72. Am Wochenende fuhren wir immer mit meinem
roten Fiat 500 (noch mit Zwischengas und Extra-Anlasser) nach
Schleswig zurück. Der Fiat hatte ein schwarzes Stoffschiebedach und
ich hatte es geschafft, den Wagen im 3. Gang so hoch zu jagen, dass
der Zylinderkopf durchbrannte. Zwar versuchte ich immer wieder, das
Loch mit Asbestschnüren abzudichten, aber meist hielt das nur bis
Haddeby oder bis zur Abfahrt Borgwedel. Der Motor war so laut, dass
man mir in Malente verbot, das Auto auf dem Schulgelände zu parken.
In der Tat, ein Panzer war nichts dagegen. Als ich eines Wochenendes
– ich wohnte noch bei meinen Eltern, jetzt im Seekamp, Sankt Jürgen
– nach Hause kam, fand ich einen Brief vom Kreiswehrersatzamt
Schleswig vor: Einberufung zum 1. April. Sch …! Und wir hatten
jetzt schon Ende Januar. Was tun? Der Tip(p) kam von Gert. „Geh
doch, so wie ich zum Luftschutz. Da musst du dich für zehn Jahre
verpflichten, aber du brauchst nicht zum Bund. Jede Woche eine Übung
am Abend, das ist alles.“ Gesagt getan. Ich nahm Kontakt zu Herrn
Rauhut, der im Kolonnenweg wohnte, auf und verpflichtete mich bis
1982 für diesen irgendwie mystereriösen Verein. Im April ging’s
für mich los. Wir trafen uns auf dem Parkplatz des
Kreiskrankenhauses. Einige waren langhaarig und bärtig, verwegen
schauend, andere harmlose Milchbubis, Warmduscher, Drückeberger und
Schattenparker. Mancher war eventuell tatsächlich Pazifist, aber das
wusste niemand so genau. Keiner wollte Soldat werden, hatte aber auch
keine Lust, offizieller Wehrdienstverweigerer zu sein, denn vor einer
Frage des Komitees fürchteten sich alle: „Was würden Sie tun,
wenn Ihre Familie von den Russen mit Maschinengewehren angegriffen
wird, würden Sie dann zur Waffe greifen?“ Herr Rauhut und sein
Sozi, Herr Bohnsack, führten uns in den Keller des Funktionsbaus.
Dort gab es eine Stahltür, hinter der es noch einmal eine Treppe
tiefer ging – eine ziemlich lange und echt abgründigeTreppe (siehe
Foto). Die Wände nur grob, oder gar nicht verputzt. Am Ende eines
der vielen Gänge lag die sogenannte „Leitmessstelle 12“, die zum
„Warnamt 1“ in Hohenweststedt gehörte. Zwei Räume, in denen
Telefone aus dem 2. Weltkrieg standen, wo man noch kurbeln musste und
direkte Verbindung nach Hohenweststedt bekam. So langsam kriegte ich
mit, was hier gespielt wurde. Vom Warnamt bekamen wir Anrufe, wann
und wo in Deutschland und vor allem in Schleswig-Holstein von den
Russen Atombomben abgeworfen worden waren. Unsere Aufgabe war es nun,
anhand der aktuellen Wetterlage und Höhenwinde, den sogenannten
Fallout zu berechnen, heißt, welche Gebiete radioaktiv verseucht
werden würden und wie lange es dauern würde, bis die Leute sich
irgendwie in „Sicherheit“ bringen konnten. Je nachdem, wie unsere
Berechnungen ausgingen, lösten wir dann die Sirenen auf den Dächern
der offiziellen und teilweise privaten Gebäude aus. Natürlich nicht
wirklich, sondern nur fiktiv. Ganz wichtig war es dabei, das
NATO-Alphabet auswendig zu können, damit es keine Missverständnisse
gab und die Russen, die uns natürlich abhörten, irritiert waren:
Alpha – Bravo – Charlie – Delta – Echo – Foxtrott. Neben
diesen Kriegsspielen, klopften wir auch Skat, spielten Bingo, wobei
wir ordentlich Korn tranken und damit der nicht so anschlug, kauten
wir dazu fetten Speck, den Herr Bohnsack spendete. Und wir erzählten
uns Witze. Der Jüngste in unserem Bunkertrupp war 17 Jahre alt und
brauchte auch nicht zur Musterung, weil ich ihm in der „Eiche“
(gibt’s heute nicht mehr, Olaf Petersen, jetzt „Ruhekrug“) beim
einem Bier den entsprechende Tip(p) gegeben habe. Noch heute ist er
mir dankbar, gell Peter :) Übrigens durfte ich bereits 1980 (also
zwei Jahre früher) die Leitmessstelle für immer verlassen. Aber
auch das ist eine andere Geschichte.
Dänische Erfindung als
Erinnerungshilfe
In einer meiner Geschichten (SSG 0201) berichtete
ich davon, wie ich als Kind in einen Autounfall verwickelt wurde und
ich in einem mir unbekannten Zimmer aufwachte. Erst nach und nach
offenbarte sich mir, wo ich war: Die Räder am Bett meines Nachbarn,
Frauen mit grauen Kitteln und Männer, ganz in Weiß gekleidet. Ärzte
und Krankenschwestern. Letztere versuchten, mir immer wieder Blut
abzunehmen, was sie aber in den ganzen sechs Wochen meines
Klinikaufenthaltes nicht schafften. Auch den Doktoren gelang es
nicht, mir eine Kanüle in den Arm zu stecken. Ich machte jedes Mal
einen Riesenaufstand, denn ich hatte eine unglaubliche Angst vor
diesem Prozedere, obwohl mir noch nie zuvor Blut abgenommen worden
war. An den Namen des Jungen neben mir kann ich mich nicht mehr
erinnern. Dafür aber um so mehr an das, was ihm seine Eltern bei
ihrem wöchentlichen Besuch mitbrachten. Es war ein kleiner Karton,
auf dem mit großen Lettern „LEGO“ stand. Ich ging ja schon in
die zweite Klasse und konnte es daher lesen. Der Junge, ich nenne ihn
einfach mal Erik, öffnete die Schachtel und brachte kleine
Plastiksteine hervor, in weiß und rot. Jeder dieser Steine hatte
oben Noppen, manche vier, andere sechs, oder nur zwei und man konnte
die Steine so aufeinander stecken und Mauern daraus bauen. Das war
jede Woche so und in den Schachteln waren neben den Steinen dann auch
Fenster oder Türen, oder durchsichtige Steine. Nie zuvor hatte ich
so was gesehen. Konnte ich ja auch gar nicht, denn diese
Plastikdinger wurden gerade mal ein Jahr zuvor in Dänemark in dieser
Form patentiert, wie Eriks Vater einmal meinte. Und sie waren
bestimmt sauteuer. Wie bescheiden waren da die Mitbringsel meines
Vaters. Er kam zwar zwei- oder gar dreimal in der Woche. Dafür bekam
ich aber jedes Mal nur eine Stange Sahnebonbons, fünf Stück für
zehn Pfennige. Mein Vater als fliegender Händler verkaufte neben
Kaffe und Tee auch solche Sachen. Mit Legosteinen fing ich erst in
den 1980er Jahren an zu spielen – mit unseren beiden kleinen
Kindern.
Einer von uns muss zum Friseur. Aber
wer? Und vor allem, wann?
Als ich 1970 die Einjährige Höhere
Handelschule (HH, in der oberen Flensburger Strasse) abgeschlossen
hatte, bewarb ich mich beim Schleswiger Finanzamt für die Mittlere
Laufbahn. Tatsächlich wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch
eingeladen. Bewerber gab es nicht so viele, denn wir hatten damals
mit 0,7 Prozent Arbeitslosen praktisch die Vollbeschäftigung in der
BRD und Herr Schiller war Finanzminister. Na ja, meine Zeugnisse,
besonders das der HH waren echt mies, denn damals hatte ich
angefangen, rebellisch und faul zu werden und meine Haare ein wenig
über die Ohren wachsen zu lassen. Für einen zukünftigen Beamten
nicht gerade vorteilhaft. Dann, so gegen Ende des
Vorstellungsgespräches, fragte mich der Personalleiter, warum ich
denn überhaupt ausgerechnet Finanzbeamter werden möchte. Meine
Antwort: „Nun, Steuern wird es immer geben.“ Sein Unterkiefer
fiel etwas herab und seine Augen glänzten irgendwie merkwürdig.
Nach fünf gefühlten Sekunden streckte mir der Personalleiter die
Hand entgegen und sagte: „Herr Weinert, Sie haben den
Ausbildungsplatz.“ Am 1. August 1970 ging es los. Da ich seit einem
Jahr auch noch in der Rockband „Menetekel“ Schlagzeug spielte,
ließ ich mir die Haare ungezügelt weiter wachsen. Eines Tages, am
Beginn des zweiten Ausbildungsjahres, kam der Personalleiter zu mir
ins Büro, starrte mich an und meinte. „Herr Weinert, ich glaub,
einer von uns beiden muss mal zum Friseur." Ich bin nicht immer
schlagfertig, aber diesmal war ich es und entgegnete ihm: „Ja,
nämlich Sie!“ Dass ich keinen Eintrag in die Personalakte bekam,
lag wohl nur daran, dass der Personalleiter meinen Vater kannte und
er, wie auch ich, katholisch war, vermute ich mal. Jedenfalls ließ
ich mir die Haare noch neun Jahre lang weiter wachsen und erst dann
kürzte ich sie sukzessive. Und das kam so: --- 1976 zog ich nach
Flensburg in eine Dreier-WG. 1977 zog Simone, die Freundin von Ollie
aus und Doris, eine Bekannte von Ollie und mir übernahm das Zimmer.
Inzwischen hatte ich beim Finanzamt gekündigt und war arbeitslos
(Arbeitslosenquote stieg also leicht), denn mir war klar geworden,
mein Leben dafür einzusetzen, Menschen etwas zu geben und nicht, um
ihnen was wegzunehmen. Ich verliebte mich in Doris, sie sich aber
nicht in mich. Ich ließ nicht locker und auf einer Party in unserer
WG erzählte ich ihr nach zwei Gläsern Rotwein eine ausgedachte,
romantische Geschichte, die sie dazu veranlasste mich einfach zu
küssen – so richtig mit Zunge und so. Zwei Jahre später hat sie
mich geheiratet und die Kinder der Kirchengemeinde, zu der wir
gehörten, hatten mir schon Wochen vorher immer wieder gesagt:
„Stefan, zur Hochzeit musst du deine Haare aber abschneiden.“ Und
auch ein paar Erwachsene meinten das. Also tat ich ihnen den
Gefallen. Inzwischen waren mir meine schönen schwarzen Haare bis zu
den sehr männlichen :) Brustwarzen gegangen und nun ließ ich sie
auf Schulterhöhe kürzen. Dass sie bald „normale“ Länge haben
würden, ist eine andere Geschichte.
Eine traurige und doch Wunder-volle
Geschichte.
Es war im Jahre 1957 und wir wohnten immer noch in
Schleswig im Friedrichsberg. Ich hatte mit den beiden
Heitmann-Schwestern von Gegenüber gespielt. Dann wollte ich nach
Hause. Ich lief über den Rasen, dann die Böschung hinunter und
wollte über die Strasse. Aber ich kam nicht weit. Denn kaum war ich
über den Bordstein, erfasste mich der Außenspiegel eines VW-Käfers
mit solcher Wucht, dass meine rechte Wange und Stirn über dem Auge
aufgerissen wurden und ich mit dem Hinterkopf auf die Strasse
knallte. Meine kleine Schwester Martina kam in die Küche gerannt und
schrie. „Stefan ist tot! Stefan ist tot.“ Meine Eltern stürmten
nach draußen. Dort lag ich tatsächlich wie tot. Das Gesicht bleich
und blutüberströmt. Daneben der total erschrockene und zitternde
Autofahrer. Das Erste, was mein Vater tat war, dass er diesem armen
Mann dermaßen eine ins Gesicht scheuerte, dass er später dafür zu
einer Geldstrafe von 120 Mark verurteilt wurde. Da meine Eltern das
Geld dafür aber nicht hatten, erlaubte der Richter Vati, diese
Strafe in entsprechenden Kilos von Kaffe abzubezahlen (mein Vater war
Handelsreisender für Kaffee, Tee und Kakao). Krankenwagen,
Krankenhaus und der Priester. Meine Eltern und auch die Ärzte
glaubten nicht so recht, dass ich wieder aufwachen würde. Pfarrer
Heumann (wir waren katholisch, was damals in SL eine Seltenheit war =
Diaspora) gab mir die „Letzte Ölung“, das Sterbesakrament der
katholischen Kirche. Es vergingen drei Tage und ich lag immer noch
wie tot. All das, was ich bisher berichtet habe, weiß ich nur durch
Erzählungen meiner Eltern und Geschwister. Ich selbst erinnere mich
bis heute an absolut nichts. Nur dieses: Ich schlug wie jeden Morgen
die Augen auf und wollte zur Schule (Bugenhagenschule) aufstehen.
Doch in meinem Kopf war es wie das Summen und Brummen von tausend
Hummeln. Mir war total schwindelig. Und merkwürdig, die Zimmerdecke
war doppelt so hoch wie sonst, das Fenster riesig und links neben mir
stand ein Bett auf Rädern und ein mir unbekannter Junge lag darin.
Die Nachricht, dass ich tatsächlich wieder aufgewacht sei, erreichte
nicht nur meine Eltern, die sofort kamen, sondern auch Herrn Wagner
von der Polizei. Als dieser mich zu dem Unfallhergang befragte und
befragte, fing ich an zu heulen, denn ich konnte mich ja an nichts
erinnern, was mir aber Herr Wagner irgendwie nicht glauben wollte.
Jedenfalls: Ich war tot und nun lebte ich wieder, bis heute. Ich
glaube an Wunder … Der VW-Fahrer war übrigens der Sohn des
Hausmeisters vom katholischen Pfarrhaus im Lollfuss, Ecke
Guttenbergstrasse (damals noch das alte Gebäude mit angrenzender
Kneipe) und er arbeitete bei der GEWOBA. Als ich nach sechs Wochen
aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging meine Mutter demonstrativ
mit mir durch die Siedlung, um allen zu zeigen, dass es mich noch
bzw. wieder gibt. In der Folge brachte ich jede Woche ein Pfund
Bremer Kaffee in das Büro meines Unfallgegners, bis die Ohrfeige
meines Vaters abbezahlt war. Meine Eltern hätten auch Andreas
(Dalle), meinen älteren Bruder, schicken können. Doch ganz bewusst
ließen sie mich dies tun: Therapie für den Herrn von der GEWOBA und
vor allem für mich.