ANGST - FURCHT und SCHRECKEN . . .
von Stefan Weinert
Der berühmte Autor und Lyriker Hermann Hesse (1877 bis 1962) hatte sich angewöhnt, jeden Morgen vor Beginn seiner Arbeit für eine halbe Stunde neue Wörter zu erfinden. Aber auch suchte er neue Ausdrucksformen für Allerweltswörter wie zum Beispiel "Baum" - "Fenster" - "Tisch" - "Arbeit" - "Liebe" - "Geld" usw. Genau das machte seine Sprache nicht nur interessant, sondern auch einzigartig.
Heute sprechen wir da von so genannten "Synonymen" (griech./deutsch = "von gleichem Namen"). Seit Jahrzehnten gibt es ganze Buchreihen und "DUDEN" über Synonyme. Und am PC (z.B. bei "Word" und anderen Schreibprogrammen) brauche ich nur das Allerweltswort mit der rechten Maustaste anzuklicken und ich kann in der Folge aus einem ganzen Katalog von Vorschlägen einen Begriff/Wort heraussuchen. Nehmen wir mal das Wort "Arbeit". Mein Schreibprogramm schlägt mir da "Strapaze, Plage, Schwierigkeit, Manuskript" und andere Begriffe vor: Nicht aber "Tagewerk" - "Berufung" - "Existenzgrundlage" und "Job". Also recht einseitig, die elektronischen Vorschläge.
Nun gibt es aber auch Wörter, die im Alltag auf der Straße - aber leider auch in den Medien - als Synonyme verwandt werden, die aber de facto gar keine "Namen von gleichem Namen" sind. Eklatantes Beispiel dafür ist der Begriff und das Wort "Dilemma", der/das oft für "Notlage" (Wohnungsnot), "Schwierigkeiten" (leeres Auftragsbuch) oder "Katastrophe" (leere Kassen) benutzt wird. Ein "Dilemma" aber ist etwas völlig anderes - und eben kein Synonym für "Versagen oder Defizit".
Vor 102 Jahren (1920) - der bisher grausamste Krieg in der Menschheitsgeschichte "rauchte" noch am Horizont der Zeit - publizierte der bis heute unübertroffenen Wiener Psychologe, Psychiater und Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856 bis 1939) sein Werk "Jenseits des Lustprinzips". Im Zusammenhang mit den "traumatischen Neurosen" im Allgemeinen und den "Kriegsneurosen" (1914 - 18) im Speziellen - ihrer Entstehung aber auch ihrer Abwendung - redet Freud von den drei menschlichen Zuständen SCHRECK - FURCHT - ANGST, fügt aber im selben Satz explizit hinzu: "werden mit Unrecht wie synonyme Ausdrücke gebraucht; sie lassen sich [aber] in ihrer Beziehung zur GEFAHR gut auseinanderhalten." (Seite 15)
Wenn ich nun testhalber bei "Word" den Begriff FURCHT eingebe, erscheint an erster Stelle genau das angebliche "Synonym" ANGST. Versuchen Sie es mal, es wird Ihnen genauso gehen. Woran wir erkennen, dass unsere Sprache und damit auch unser Verständnis für Wörter und Begriffe sehr ungenau, verschwommen und oberflächlich (geworden) sind und Selberdenken angesagt ist.
Wie gesagt veröffentlichte Freud sein Buch zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges. Heuer befinden wir uns nur ein paar "Waffenlieferungen der schweren Art", von dem Dritten Weltkrieg, der auch der letzte sein könnte, entfernt. SCHRECK - FURCHT und ANGST sind angesichts der GEFAHR allgegenwärtig. Was nun der Wiener Psychoanalytiker darüber schreibt, ist sehr erhellend und hilfreich und wir finden es im Jahr 2022 unter uns wieder - je nachdem, wo wir leben und in welcher Art wir persönlich von dem Ukrainekrieg betroffen sind.
"ANGST bezeichnet einen gewissen Zustand wie Erwartung der GEFAHR und Vorbereitung auf dieselbe - mag die [Gefahr] auch eine unbekannte sein."
"FURCHT verlangt [immer] ein bestimmtes Objekt [[Atombombe]], vor dem man sich fürchtet."
"SCHRECK aber benennt den Zustand, in den man gerät, wenn man in GEFAHR kommt, ohne auf sie vorbereitet zu sein; Schreck betont das Moment der Überraschung."
Dann meint Freud sehr überraschend: "Ich glaube nicht, dass die ANGST eine traumatische Neurose erzeugen kann; an der Angst ist etwas, was gegen den SCHRECK und also auch gegen die Schreckneurose schützt." Angst zu haben - so meine Einschätzung - kann also durchaus GESUND sein. Ebenso, das VORBEREITET-SEIN auf eine bestimmte oder auch unbestimmte Gefahr.
Zu Letzterem gehören aber zwei Dinge. a) Wir müssen den Realitäten ins Auge schauen, die Wahrheiten akzeptieren und uns nicht in eine Traumwelt beamen. Das gilt nicht nur für die derzeitige Krise, sondern ganz allgemein für alle unsere Lebensbereiche. b) Zum Vorbereitet-Sein gehören aber auch die dafür notwendigen Informationen von Außen. Keine Halb- oder Fehlinformationen, Lügen oder gar Schweigen.